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Verbrechen und Strafe

Verbrechen und Strafe

Titel: Verbrechen und Strafe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor Michajlowitsch Dostojewskij
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Alexandrowna ging ängstlich auf ihn zu.
    »Mamachen, was auch passiert, was Sie über mich auch hören, was man Ihnen auch sagt – werden Sie mich auch dann noch so lieben wie jetzt?« fragte er plötzlich aus vollem Herzen, als überlegte er sich seine Worte nicht, als wäge er sie nicht.
    »Rodja, Rodja, was fällt dir ein? Wie kannst du nur so etwas fragen! Wer wird denn mir etwas über dich sagen? Ich werde ja niemand glauben, wer zu mir auch kommt, ich jage ihn einfach hinaus.«
    »Ich bin gekommen, Ihnen zu versichern, daß ich Sie immer geliebt habe, und bin jetzt froh, daß wir allein sind, bin sogar froh, daß Dunjetschka nicht da ist«, fuhr er in derselben Erregung fort. »Ich bin gekommen, Ihnen offen zu sagen, daß, wenn Sie auch unglücklich sein werden, Sie doch wissen sollen, daß Ihr Sohn Sie jetzt mehr als sich selbst liebt und daß alles, was Sie über mich gedacht haben, daß ich grausam sei und Sie nicht liebe, nicht richtig ist. Sie zu lieben werde ich niemals aufhören! ... Nun, es ist genug: Ich glaubte, daß ich es sagen und damit beginnen müßte ...«
    Pulcheria Alexandrowna umarmte ihn stumm, drückte ihn an die Brust und weinte leise.
    »Was mit dir ist, Rodja, weiß ich nicht«, sagte sie endlich. »Ich dachte die ganze Zeit, daß wir dich einfach langweilen, aber jetzt ersehe ich aus allem, daß dir ein großes Leid bevorsteht und daß du dich darüber grämst. Ich habe es schon lange vorausgesehen, Rodja. Verzeih mir, daß ich davon spreche; ich denke immer daran und schlafe nachts nicht. Diese ganze Nacht hat auch deine Schwester phantasiert und immer von dir gesprochen. Ich habe etwas gehört, aber nichts verstanden. Den ganzen Morgen ging ich wie vor einer Hinrichtung herum, erwartete immer etwas, und nun ist es gekommen. Rodja, Rodja, wo willst du denn hin? Verreist du vielleicht irgendwohin?«
    »Ich verreise.«
    »Das hab' ich mir auch gedacht! Ich kann ja auch mit dir mitfahren, wenn du es brauchst. Auch Dunja; sie liebt dich, sie liebt dich sehr; auch Ssofja Ssemjonowna kann vielleicht mitkommen, wenn es nötig ist; siehst du, ich will sie gern als Tochter aufnehmen. Dmitrij Prokofjitsch wird uns helfen, uns auf den Weg zu machen ... Aber ... wohin ... reisest du?«
    »Leben Sie wohl, Mamachen.«
    »Wie! Heute schon!« rief sie aus, als verliere sie ihn für alle Ewigkeit.
    »Ich kann nicht ... es ist Zeit für mich, ich muß dringend ...«
    »Und ich darf nicht mit?«
    »Nein, knien Sie nieder und beten Sie für mich zu Gott Ihr Gebet wird vielleicht erhört werden.«
    »Laß dich bekreuzigen, dich segnen! Ja, so, so! O Gott, was tun wir!«
    Ja, er war froh, er war sehr froh, daß niemand dabei war, daß er mit der Mutter allein war. Sein Herz war seit dieser ganzen schrecklichen Zeit gleichsam auf einmal weich geworden. Er sank vor ihr nieder, er küßte ihre Füße, und beide weinten, einander umarmend. Sie hatte schon lange begriffen, daß mit ihrem Sohn etwas Furchtbares vorging, und nun war dieser für ihn so schreckliche Augenblick gekommen.
    »Rodja, mein Lieber, mein Erstgeborener,« sagte sie schluchzend, »du bist jetzt ebenso, wie du als kleines Kind warst; du bist damals ebenso zu mir gekommen, hast mich ebenso umarmt und geküßt; als wir noch mit deinem Vater in Armut lebten, tröstetest du uns schon damit, daß du mit uns warst; und als ich deinen Vater beerdigt hatte, wie oft haben wir uns umarmt, so wie jetzt, und auf seinem Grabe geweint. Daß ich schon so lange weine, kommt daher, weil das Mutterherz das Unheil ahnt. Als ich dich damals zum erstenmal sah, am Abend, erinnerst du dich noch, als wir erst eben angekommen waren, hatte ich alles aus deinem Blick allein erraten, und mein Herz krampfte sich damals zusammen; und heute, als ich dir öffnete und dich ansah, sagte ich mir gleich, daß die Schicksalsstunde gekommen sei. Rodja, Rodja, du reist doch nicht sofort?«
    »Nein.«
    »Kommst du noch einmal her?«
    »Ja ... ich komme noch.«
    »Rodja, sei mir nicht böse, ich wage dich nicht auszufragen. Ich weiß, daß ich es nicht darf, aber sag mir bloß zwei Worte: Ist es weit, wohin du reist?«
    »Sehr weit.«
    »Was ist dort, eine Anstellung für dich, oder erwartet dich eine Karriere?«
    »Was Gott mir gibt ... beten Sie nur für mich ...«
    Raskolnikow ging zur Tür, aber sie hielt ihn fest und blickte ihm verzweifelnd in die Augen. Ihr Gesicht war vor Entsetzen verzerrt.
    »Genug, Mamachen«, sagte Raskolnikow, der schon tief bereute, daß es ihm

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