Verdammnis
noch nie bei ihm übernachtet, und er protestierte lebhaft dagegen, dass sie als Frau ganz allein mitten in der Nacht zu ihrem Hotel ging. Er bestand darauf, sie nach Hause zu begleiten. Besonders weil es oft sehr spät wurde. Lisbeth Salander hörte sich seinen Vortrag an und setzte der Diskussion dann mit einem schlichten Nein ein Ende. Ich gehe, wann ich will und wohin ich will. Ende der Diskussion. Und nein, ich will nicht nach Hause begleitet werden . Als sie das erste Mal merkte, dass er ihr nachschlich, wurde sie unglaublich wütend. Aber mittlerweile fand sie, dass sein Beschützerinstinkt irgendwie doch charmant war, und tat so, als wüsste sie nicht, dass er ihr folgte und erst umkehren würde, wenn sie durch den Hoteleingang verschwunden war.
Sie fragte sich, was er eigentlich tun wollte, wenn man sie plötzlich überfiele.
Sie selbst wollte in diesem Fall den Hammer benutzen, den sie in MacIntyre’s Eisenwarenladen gekauft hatte und im äußeren Fach ihrer Umhängetasche verwahrte. Lisbeth Salander konnte sich nur wenige physische Bedrohungen vorstellen, denen sich durch den Einsatz des netten, kleinen Hammers nicht abhelfen ließ.
Es war Vollmond, und die Sterne funkelten am klaren Himmel. Lisbeth blickte auf und erkannte Regulus im Sternbild Löwe am Horizont. Als sie fast schon am Hotel war, blieb sie plötzlich stehen. Auf einmal sah sie den Schatten eines Mannes unten am Strand, am Meeressaum unterhalb des Hotels. Es war das erste Mal, dass sie dort nach Einbruch der Dunkelheit einen Menschen sah. Obwohl er fast hundert Meter entfernt war, konnte Lisbeth den Mann im Mondlicht problemlos identifizieren.
Es war der ehrenwerte Dr. Forbes aus Zimmer 32.
Rasch ging sie ein paar Schritte zur Seite, um sich zwischen den Bäumen zu verbergen. Als sie sich umdrehte, war auch George Bland unsichtbar. Der Schatten am Wasser wanderte langsam auf und ab. Er rauchte eine Zigarette. In regelmäßigen Abständen blieb er stehen, als würde er den Sand untersuchen. Diese Pantomime setzte sich zwanzig Minuten fort, bis er auf einmal die Richtung änderte, mit schnellen Schritten auf den Strandeingang des Hotels zusteuerte und verschwand.
Lisbeth wartete ein paar Minuten, bevor sie zu der Stelle ging, an der Dr. Forbes auf und ab gelaufen war. Sie beschrieb langsam einen Halbkreis und suchte mit den Augen den Boden ab. Das Einzige, was sie sah, waren Sand, ein paar Steine und Muscheln. Nach zwei Minuten brach sie ihre Untersuchung ab und ging zum Hotel.
Dort trat sie auf den Balkon, beugte sich übers Geländer und spähte zu ihren Nachbarn hinüber. Es war ganz still. Die abendliche Streiterei war offensichtlich schon vorbei. Nach einer Weile holte sie ihre Tasche, zog ihre Blättchen heraus und drehte sich einen Joint von dem Vorrat, den George Bland ihr überlassen hatte. Dann setzte sie sich auf einen Balkonstuhl und blickte auf das dunkle Wasser der Karibik, während sie rauchte und nachdachte.
Sie fühlte sich wie eine Radaranlage in höchster Alarmbereitschaft.
2. Kapitel
Freitag, 17. Dezember
Nils Erik Bjurman, Rechtsanwalt, 55 Jahre alt, stellte seine Kaffeetasse ab und betrachtete den Menschenstrom vor dem Fenster des »Café Hedon« am Stureplan. Er sah die Menschen, die dort vorbeiströmten, ohne jemand Bestimmten anzuschauen.
Er dachte an Lisbeth Salander. Er dachte oft an Lisbeth Salander.
Und diese Gedanken ließen ihn innerlich kochen.
Lisbeth Salander hatte ihn zerstört. Niemals würde er jenen Augenblick vergessen. Sie hatte das Kommando übernommen und ihn erniedrigt. Sie hatte ihn auf eine Art misshandelt, die buchstäblich unauslöschliche Spuren auf seinem Körper hinterlassen hatte. Genauer gesagt auf einer mehr als zwanzig Quadratzentimeter großen Fläche auf seinem Bauch, direkt über seinem Geschlecht. Sie hatte ihn an sein eigenes Bett gekettet, ihn misshandelt und ihm eine unmissverständliche Botschaft auftätowiert, die sich nicht so einfach entfernen ließ.
ICH BIN EIN SADISTISCHES SCHWEIN, EIN WIDERLING UND EIN VERGEWALTIGER.
Lisbeth Salander war vom Gericht in Stockholm für geschäftsunfähig erklärt worden. Bjurman war mit ihrer Betreuung beauftragt worden, was sie in höchstem Grade von ihm abhängig machte. Schon bei seinem ersten Treffen mit ihr hatte er angefangen, von ihr zu fantasieren. Er konnte es nicht erklären, aber sie forderte es geradezu heraus.
Rein intellektuell gesehen, wusste Nils Bjurman freilich, dass er etwas getan hatte,
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