Verdammnis
heulte.
Lisbeth wurde schlagartig von heftigem Lärm geweckt. Sie warf einen Blick auf ihre Armbanduhr: Viertel nach elf. Taumelnd stand sie auf und öffnete die Balkontür. Die Windstöße, die ihr sofort entgegenschlugen, ließen sie einen Schritt zurückweichen. Dann hielt sie sich mit einer Hand am Türpfosten fest, trat vorsichtig auf den Balkon und sah sich um.
Ein paar Hängelampen am Pool schaukelten hin und her und schufen ein dramatisches Schattenspiel im Hof. Lisbeth bemerkte, dass mehrere Hotelgäste aufgestanden waren und nun durch die Öffnung in der Mauer spähten, die das Hotel vom Strand trennte. Andere blieben lieber in der Nähe der Bar. Als sie nach Norden sah, konnte sie in der Ferne die Lichter von Saint George’s ausmachen. Der Himmel war bewölkt, aber es regnete nicht. Lisbeth konnte das Meer in der Dunkelheit nicht erkennen, aber das Rauschen der Wellen hörte sich bedeutend lauter an als gewöhnlich. Die Temperatur war noch weiter gesunken. Zum ersten Mal, seit sie in der Karibik war, fröstelte sie.
Während sie auf dem Balkon stand, klopfte jemand kräftig gegen ihre Tür. Sie schlang sich ein Laken um den Körper und öffnete. Freddy McBain machte einen nervösen Eindruck.
»Entschuldigen Sie die Störung, aber es sieht so aus, als würde es einen Sturm geben.«
»Mathilda.«
»Genau, Mathilda«, bestätigte McBain. »Sie hat heute Abend bereits vor Tobago gewütet und verheerende Schäden angerichtet, wie wir erfahren haben.«
Lisbeth ging ihre geografischen und meteorologischen Kenntnisse durch. Trinidad und Tobago lagen ungefähr zweihundert Kilometer südöstlich von Grenada. Ein Tropensturm konnte sich ohne Weiteres in einem Radius von hundert Kilometern ausbreiten und sein Zentrum dabei mit einer Geschwindigkeit von 30 bis 40 Stundenkilometern verlegen. Was bedeutete, dass Mathilda nun jederzeit an Grenadas Tore klopfen konnte. Es hing nur noch davon ab, in welche Richtung sie sich jetzt weiterbewegte.
»Es besteht keine unmittelbare Gefahr«, fuhr McBain fort. »Aber wir wollen lieber auf Nummer sicher gehen. Ich möchte, dass Sie Ihre Wertsachen in eine Tasche packen und zur Rezeption hinunterkommen. Das Hotel stellt Kaffee und belegte Brote.«
Lisbeth befolgte seinen Rat. Sie wusch sich kurz das Gesicht, um richtig wach zu werden, dann zog sie ihre Jeans, Stiefel und ein Flanellhemd an. Ihre Nylontasche hängte sie sich über die Schulter. Bevor sie das Zimmer verließ, ging sie noch einmal zurück, machte die Badezimmertür auf und schaltete das Licht ein. Die grüne Eidechse war nicht zu sehen, anscheinend hatte sie sich in irgendein Loch verkrochen. Kluges Kerlchen.
An der Bar schlenderte Lisbeth zu ihrem angestammten Platz und sah zu, wie Ella Carmichael ihr Personal anwies, Thermosflaschen mit Heißgetränken zu füllen. Nach einer Weile kam sie zu Lisbeth herüber.
»Hallo. Sie sehen ein bisschen verschlafen aus.«
»Ich war gerade eingeschlafen. Was passiert jetzt als Nächstes?«
»Wir warten ab. Draußen auf dem Meer ist der Sturm in vollem Gange, und von Trinidad haben wir Orkanwarnung bekommen. Wenn es schlimmer wird und Mathilda in unsere Richtung zieht, gehen wir in den Keller. Können Sie uns wohl ein bisschen helfen?«
»Was soll ich tun?«
»An der Rezeption haben wir hundertsechzig Decken liegen, die in den Keller gebracht werden sollen. Und wir haben jede Menge Sachen, die wir sicher verstauen müssen.«
Lisbeth half also mit, die Decken in den Keller zu tragen und anschließend Blumentöpfe, Tische, Sonnenliegen und andere lose Gegenstände am Pool einzusammeln. Als Ella sie dankend entließ, ging Lisbeth zu der Maueröffnung, die das Hotelgelände vom Strand trennte, und wagte ein paar Schritte in die Dunkelheit hinaus. Das Meer donnerte bedrohlich, und die Windböen rissen so heftig an ihr, dass sie die Füße fest auf den Boden stemmen musste, um nicht umgeblasen zu werden. Die Palmen an der Mauer schwankten bedenklich.
Sie ging zurück an die Bar, bestellte sich einen Caffè Latte und nahm an der Theke Platz. Es war kurz nach Mitternacht. Unter den Hotelgästen und dem Personal herrschte ziemlich besorgte Stimmung. Die Leute saßen an den Tischen, unterhielten sich mit gedämpfter Stimme und schielten in regelmäßigen Abständen misstrauisch gen Himmel. Insgesamt befanden sich zweiunddreißig Gäste und ungefähr zehn Hotelangestellte im Keys Hotel. Plötzlich sah Lisbeth Geraldine Forbes an einem Tisch in der Nähe der Rezeption sitzen.
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