Verdammnis
doch wollte er offenbar den Anschein erwecken, aus geschäftlichen Gründen auf der Insel zu sein.
Wozu dieses Theater?
Die einzige Person, vor der er überhaupt etwas zu verbergen haben könnte, war seine eigene Frau, die annehmen sollte, dass er tagsüber schwer beschäftigt war. Aber warum? Waren seine Geschäfte schlecht gelaufen und er zu stolz, um es zuzugeben? Hatte sein Besuch auf Grenada einen ganz anderen Zweck? Wartete er auf etwas oder jemanden?
Als Lisbeth Salander ihren Posteingang überprüfte, hatte sie vier neue Mails. Die erste war von Plague, er hatte ihr sofort geantwortet. Seine Mitteilung war verschlüsselt und enthielt zwei Worte: die lakonische Frage »Lebst du?« Plague war noch nie für lange, gefühlvolle Mails gewesen - worin er mit Lisbeth übereinstimmte.
Die beiden nächsten Mails waren beide um zwei Uhr morgens gesendet worden. Die eine von Plague, der ihr die verschlüsselte Information schickte, eine Internetbekanntschaft namens Bilbo, die zufällig in Texas wohnte, habe sich bereit erklärt, ihre Rechercheanfrage zu bearbeiten. Plague gab ihr Bilbos Adresse und PGP-Schlüssel. Wenige Minuten später hatte Bilbo ihr schon geschrieben. Die Mail war kurz und enthielt nur die Ankündigung, dass er die Daten zu Dr. Forbes im Laufe des nächsten Tages übermitteln würde.
Die vierte Mail war ebenfalls von Bilbo und spätnachmittags geschickt worden. Sie enthielt die verschlüsselte Nummer eines Bankkontos und eine FTP-Adresse. Lisbeth öffnete die Adresse und fand eine ZIP-Datei mit 390 KB, die sie speicherte und öffnete. Es war ein Ordner, der vier JPG-Bilder mit niedriger Auflösung sowie fünf Word-Dokumente enthielt.
Zwei der Bilder waren Porträts von Dr. Forbes. Ein Foto war auf einer Theaterpremiere aufgenommen worden und zeigte ihn zusammen mit seiner Frau. Auf dem vierten Bild war er auf der Predigerkanzel in einer Kirche zu sehen.
Das erste Word-Dokument, Bilbos eigentlicher Bericht, bestand aus elf Seiten Text. Das zweite enthielt vierundachtzig Seiten Text, die aus dem Internet heruntergeladen worden waren. Die beiden weiteren Dokumente waren OCR-gescannte Zeitungsausschnitte aus der Lokalzeitung Austin American-Statesman und das letzte eine Übersicht über Dr. Forbes’ Gemeinde, die Presbyterian Church of Austin South.
Abgesehen von der Tatsache, dass Lisbeth Salander das dritte Buch Mose auswendig konnte - im Jahr zuvor hatte sie Gründe gehabt, die biblische Strafgesetzgebung eingehend zu studieren -, waren ihre Kenntnisse der Religionsgeschichte recht bescheiden. Zwar hatte sie eine vage Ahnung, worin der Unterschied zwischen einer jüdischen, einer presbyterianischen und einer katholischen Kirche bestand, und wusste, dass ein jüdisches Gotteshaus nicht Kirche, sondern Synagoge hieß. Für einen Moment befürchtete sie, sich in religiöse Details vertiefen zu müssen, aber dann wurde ihr klar, dass sie darauf pfeifen konnte, zu welcher Gemeinde Dr. Forbes gehörte.
Dr. Richard Forbes, manchmal auch als Reverend Richard Forbes bezeichnet, war 42 Jahre alt. Die Homepage der Church of Austin South ergab, dass diese Kirche sieben Angestellte beschäftigte. Ganz oben auf der Liste stand Rev. Duncan Clegg, was wohl bedeutete, dass er die führende Persönlichkeit dieser Kirche war. Ein Foto zeigte einen kräftigen Mann mit wallenden grauen Haaren und einem gepflegten grauen Bart.
Der dritte auf der Liste war Richard Forbes, er war für Ausbildungsfragen zuständig. Neben seinem Namen stand in Klammern »Holy Water Foundation«.
Lisbeth las die Einleitung mit der Grundsatzerklärung der Kirchengemeinde.
Durch Gebet und Danksagungen wollen wir dem Volk von Austin South dienen, indem wir ihm die Stabilität, die Theologie und die Ideologie der Hoffnung bringen, die die Presbyterianische Kirche von Amerika vermittelt. Als Diener Christi bieten wir eine Freistatt für Menschen in Not und geloben, uns mithilfe von Gebet und baptistischen Segnungen für die Versöhnung einzusetzen. Lasset uns fröhlich sein über Gottes Liebe. Unsere Pflicht ist es, die Mauern zwischen den Menschen einzureißen und Hindernisse aus dem Weg zu räumen, die einem Verständnis von Gottes Liebesbotschaft entgegenstehen.
Unmittelbar unter dieser Einleitung folgte die Bankverbindung der Kirche und eine Aufforderung, seine Gottesliebe in Taten umzumünzen.
Bilbo hatte eine bemerkenswerte Kurzbiografie von Richard Forbes erstellt. Lisbeth konnte ihr entnehmen, dass Forbes in Cedar’s
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