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Verdammt feurig

Verdammt feurig

Titel: Verdammt feurig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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Kirchenchor sang und die Predigt war kurz. Am schönsten war der Moment, in dem der Chor am Ende des Gottesdienstes Stille Nacht, heilige Nacht sang, alle Lampen erloschen und mit einem Schlag Hunderte Lichter an den riesigen Tannenbäumen neben dem Altar ansprangen. Auf diesen Moment freute ich mich jetzt schon.
    Leander drückte sich in die schmale Lücke neben mir und dem Ende der Bank und zwang mich, mein Liederbuch so zu halten, dass er hineingucken konnte. Und plötzlich begann er mitzusingen. Ich erschrak und wollte ihn in die Seite rempeln, damit er aufhörte und seine Tarnung annahm. Er hatte sich die ganze Zeit schon so unbefangen verhalten, obwohl die Kirche gestopft voll war mit Kindern und Jugendlichen! Körperwächter waren musikalisch, sein Singen mussten sie hören. Schließlich verständigten sie sich über Klangfrequenzen.
    »Keine Bange, Luzie, ich bin der Einzige hier. Kirchen sind sichere Orte. Wir bleiben derweil in den Wohnungen und passen auf, dass nichts zu brennen beginnt«, beruhigte er mich. »Aber ihr habt ja keine Kerzen mehr an und ich war neugierig. Das ist echt krass hier.«
    War das tatsächlich wahr – es war Weihnachten und wir saßen in der Kirche und Leander war der einzige Schutzengel, äh, Wächter weit und breit? Ich konnte es kaum glauben.
    Doch er sang voller Inbrunst mit und nach einigen Verirrungen und Missklängen wusste er, wie er die Noten lesen musste. Seine Stimme war tief und ein wenig rau, aber ich mochte sie. Ich selbst sang nie mit und meistens betete ich auch nicht mit, weil ich die Gebete nicht kannte. Aber ich hörte immer zu.
    Diesmal aber bekam ich von all dem nichts mit und wartete nur darauf, dass Leander wieder zu singen begann, denn wenn er sang, wurde mir sofort warm, und es war lausig kalt in der Kirche. Außerdem zog es aus allen Ecken. Warum konnten Kirchen eigentlich nicht gemütlich sein? Das hatte ich nie verstanden. Ich versuchte, meinen Schal so weit hochzuschlagen, dass er meine Ohren bedeckte, doch er rutschte sofort herunter.
    Ohne mit dem Singen aufzuhören, griff Leander zur Seite und schob meinen Kopf an seine Schulter, sodass mein rechtes Ohr geschützt war. Mein rechtes Ohr war nämlich mein Problemohr und die letzte Entzündung hatte ich niemand anderem als meinem fantastischen Körperwächter zu verdanken. Er hatte sie mir verpasst, damit ich nicht mit Guiseppe ins Kino gehen konnte.
    »Kleine Wiedergutmachung«, sagte Leander grinsend, sobald das Lied verklungen war. Ich erwiderte nichts, sondern ließ meinen Kopf an seiner Schulter ruhen, denn ich hatte keine Lust, schon wieder krank zu werden.
    Beim Vaterunser blickte Leander sich aufmerksam um, und als es anschließend stockdunkel wurde, der Chor zu singen begann und die Bäume aufleuchteten, blieb er ganz still und seufzte nur leise auf. Ich hob meine Hand und berührte mit den Fingerspitzen seine Augen. Sie waren nass.
    »Memme«, flüsterte ich. Doch auch ich hatte einen Kloß in der Kehle. Nicht weil der Chor so schön sang und Weihnachten war und die Bäume leuchteten.
    Sondern weil Seppo es nicht für nötig gehalten hatte, mir fröhliche Weihnachten zu wünschen, und mir wieder einmal nichts geschenkt hatte. Mein Geschenk für ihn lag schwer in meiner Tasche und wie vergangenes Jahr würde ich es ihm auch dieses Jahr nicht geben. Ich wollte es ihm erst dann geben, wenn er auch mir etwas schenkte. Es war ein schwarzes Lederband mit einem kleinen dunkelgrauen, glänzenden Stein. »Für mehr Balance«, hatte auf der Verpackung gestanden und Balance konnten Traceure immer gebrauchen. Aber Seppo hatte mich vergessen. Ja, er war nicht einmal zum Gottesdienst gekommen.
    Jetzt musste ich ebenfalls seufzen. Doch mein Kopf ruhte so weich und ruhig an Leanders Schulter, dass ich mich plötzlich getröstet fühlte, mich von dem Gesang und dem Duft nach Weihrauch einlullen ließ und Seppo für einen winzigen Augenblick vergaß.

Hungersnöte
    »Warum hast du eigentlich geheult in der Kirche?«, fragte ich Leander, als ich am nächsten Morgen aufwachte und es nicht wagte, mehr als meine Nasenspitze aus meinem Bettdeckenkokon zu strecken. Papa hatte die Heizung gerade erst wieder angestellt. Gluckernd und tickend versuchte sie, die Kälte aus meinem Zimmer zu vertreiben. Das Fenster war beschlagen. Draußen herrschte immer noch Frost, aber es schneite nicht. Leander hatte sein Tuch zum Schal umfunktioniert und lehnte bibbernd am Heizkörper.
    »Ich hab nicht geheult.« Seine Stimme hörte

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