Verdammt feurig
Er würde sich von niemand verbieten lassen, das zu tun. Außerdem war es sein eigener Vater, von dem er sich die Techniken abgeschaut hatte. Also sagte ich es ihr. Natürlich kannte Mama David Belle nicht.
»David Belle? Nie gehört. Wohnt der hier?«
»Das ist ein Franzose«, antwortete ich widerwillig. »Ein Schauspieler und der beste Traceur weltweit.«
»Ein Franzose? Bist du deshalb besser in Französisch geworden? Heribert, deine Tochter hat sich in einen Franzosen verliebt!«
»Mama, der ist schon über dreißig …«
»Um Gottes willen!«, schrie Mama auf. »Ein erwachsener Mann! Meine Tochter lässt sich von einem erwachsenen Mann verführen!«
An diesem Punkt meldete sich endlich Papa zu Wort, der mich den ganzen Morgen nicht ein einziges Mal richtig angesehen hatte. Er sagte, es sei ausgemachter Blödsinn, dass ich ein Verhältnis mit einem 36-jährigen Franzosen pflege, und Mama solle doch bitte schön ihre Nerven beisammenhalten. Aber das ändere alles nichts an dem Verbot. Das mit dem Parkour sei ein für alle Mal vorbei.
Danach hatte Mama mit zusammengekniffenen Lippen zum Telefon gegriffen und ihre Trainingsstunden beim Sportverein mit der Begründung abgesagt, dass sie sich in Zukunft mehr um ihre Tochter kümmern müsse, woraufhin sie Streit mit Papa bekam, weil der meinte, wir bräuchten das Geld und Mama müsse arbeiten gehen.
»Willst du etwa deine eigene Tochter zu Grabe tragen? Ich bleibe hier bei ihr!«, schrillte Mama, und damit war das Thema vorerst beendet, da Papa in den Keller flüchtete und Mama schon wieder heulte.
Zu Hause war es nicht mehr auszuhalten.
Kein Wunder, dass mir schlecht war und ich Kopfschmerzen hatte und mich rundum elend fühlte. Mir ging es sogar so mies, dass ich Vitus ab und zu vergaß. Doch jetzt glotzten mich Serdan und Billy und Seppo an wie drei erstarrte Fische und kapierten nicht, was los war, und Vitus’ schwammiges Flattern reizte mich bis aufs Blut.
»Hab ich das richtig verstanden – du hörst auf?«, fragte Seppo vorsichtig.
»Meine Eltern haben das Video entdeckt. Bei mir ist die Kacke am Dampfen. Mama ist fast durchgedreht«, sagte ich knapp und bemühte mich, das unbeteiligte Luftblase-im-Kopf-Gesicht aufzusetzen. Auf keinen Fall durfte ich heulen, sonst würden sie auf der Stelle abhauen. Ich kannte sie. »Ich hab jetzt zwei Monate lang Hausarrest.«
»Oh Mann«, brummte Billy.
»Hmrgh«, machte Serdan. Es klang immerhin mitfühlend.
»Und – hast du ihnen etwas von uns erzählt?«, fragte Seppo, und Billy und Serdan zuckten gleichzeitig zusammen.
»Natürlich hab ich das nicht!« Ich verschränkte die Arme, weil ich zu zittern begann. »Ich hab gesagt, dass ich mir die Moves im Internet abgeschaut und immer allein trainiert hab und David sowieso zu Besuch in Ludwigshafen war. Kein Wort von euch. Ihr könnt weitermachen.«
Ein bitterer Geschmack kroch auf meine Zunge. Serdan klopfte mir so fest auf die Schulter, dass ich beinahe vornüberkippte, und murmelte etwas, was ich nicht verstand. Ich konnte nicht sagen, ob es türkisch oder deutsch war.
»Oh Mann, oh Mann«, brummte Billy noch einmal. In hohem Bogen spuckte er den Kaugummi gegen die Wand und schenkte mir einen anerkennenden Blick. »Danke, Katz. Das war cool von dir.«
Ich musste hier weg, bevor ich zu heulen begann. Ich konnte mir das nicht vorstellen, dass sie jeden Tag weitertrainieren und die Stadt erobern würden, ohne mich. Ausgerechnet jetzt, nachdem David mich entdeckt hatte und wiederkommen wollte. Bestimmt würde ich ohne das Training dick und fett werden und Pickel bekommen wie Sofie, wenn ich den ganzen Tag in meinem Zimmer saß und nicht an die frische Luft konnte. Keine Runs mehr, kein gemeinsames Schweigen mit den Jungs, keinen Seppo …
Ich drehte mich um und stolperte über den Hof zum Hintereingang. Herr Rübsam, mein Klassenlehrer, lehnte sich oben aus dem Fenster unseres Saales und äugte zu mir herunter. Schluchzend wollte ich die Tür aufstoßen, doch eine große, vertraute Hand kam mir zuvor, bugsierte mich in den Flur und nahm mich sanft zur Seite.
»Hey, Katz. Nicht traurig sein.«
Seppo griff unter mein Kinn und schob es hoch, sodass ich ihn anschauen musste. Er lächelte. Wie konnte er nur so entspannt lächeln?
»Es macht dir gar nix aus, oder?«, fragte ich patzig. »Ist doch super, jetzt seid ihr wieder unter euch.«
»Mensch, Katz, wir wohnen gegenüber, wir können uns jede Stunde sehen, wenn wir wollen. Ich bin nicht aus der
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