Verdammt feurig
einzige Möglichkeit, die Amöbe loszuwerden. Ich musste ihm vorgaukeln, dass ich mich veränderte. Dass ich in die Pubertät kam.
Leider wusste ich nicht besonders viel über die Pubertät und ich hatte mir auch nie Gedanken darüber gemacht. Mir war klar, dass ich da früher oder später hineingeraten würde, und Mama hatte mir in den vergangenen Tagen dauernd irgendwelche Geschichten über ihre Zeit mit dreizehn und vierzehn erzählt, aber ich hatte nie zugehört, und im Biounterricht passte ich meistens auch nicht auf.
Aber es gab das Internet und es gab Suchmaschinen, und irgendwie würde ich schon herausfinden, was ich unternehmen musste, um wenigstens so zu tun, als würde ich erwachsen werden.
»Und das werde ich auch machen«, sagte ich entschlossen.
»Was?«, fragte Billy verwirrt.
Oh. Ich war ja mit den Jungs im Park. Und ich hatte noch nicht einmal eine Aufwärmübung gemacht. Ich saß da und grübelte, während Mogwai Serdan hinterherwinselte und Seppo verbissen an seinen Stunts feilte. Er war heute später gekommen und hatte mich weder richtig begrüßt noch richtig angeschaut. Auch das würde sich ändern müssen. Ob Seppo mich denn noch mochte, wenn ich erwachsen wurde?
»Hey, Katz, wo bist du heute denn wieder mit deinen Gedanken? Haste Stress?«, hakte Billy nach.
Jetzt hörte Seppo auf zu springen und starrte argwöhnisch zu mir herüber. Durfte ich nun nicht mal mehr mit Billy sprechen?
»Nein, hab ich nicht«, sagte ich knapp. »Ich muss nach Hause, was nachgucken.«
»Was nachgucken?« Hoppla. Serdan hatte den Mund aufgemacht. »Was willst du denn nachgucken?«
»Im Internet. Geht euch nix an.« Seppo guckte noch finsterer, sagte aber kein Wort.
»Bist du dir jetzt zu fein für uns, he?«, rief Billy mir hinterher. »Weil du fünf Sterne hast auf YouTube?«
»Lass sie«, hörte ich Seppo noch sagen und freute mich für einen Moment, dass er mich verteidigte. Aber mit meinen Gedanken war ich schon bei meinem Plan. Ich musste es langsam angehen. Nicht zu schnell. Aber es durfte auch nicht ewig dauern, sonst würde ich verrückt werden wegen der Amöbe, und vor allem konnte ich dann nicht mehr zurück in die alte Luzie. Die alte Luzie musste unbedingt bleiben.
Die letzten Schritte nach Hause rannte ich. Immer wieder hatte ich in den vergangenen zwei Tagen versucht, Vitus loszuwerden, indem ich schnell lief, aber er befand sich stets exakt über mir. Ich wurde nervös davon. Aber nun hatte ich einen Plan, ich konnte endlich etwas dagegen unternehmen. Und wenn mir alles auf den Keks ging, würde ich einfach ein bisschen zu den Jungs in den Park laufen und trainieren, um mich selbst nicht ganz zu vergessen. Die Amöbe hing zwar über mir, wenn ich im Park war, aber wenigstens versuchte sie nicht wie Leander, mich von den Übungen abzuhalten. Sie passte auf. Na ja, das, was Spürer eben unter Aufpassen verstanden. Das Training jedenfalls würde bleiben, Erwachsenwerden hin oder her. Ohne das Training konnte ich nicht glücklich sein, das wusste ich. Eilig schloss ich die Haustür auf. Ich konnte es kaum erwarten, den Computer hochzufahren und …
»Luzie Marlene Morgenroth!« Mamas Stimme schallte wie das Nebelhorn eines Rheinfrachters durch das Treppenhaus. Die weckte ja noch die Toten in Papas Keller auf! Was hatte ich nun wieder ausgefressen?
Schon auf dem halben Treppenabsatz blickte ich nach oben. Mama stand mit hochrotem Kopf und wild züngelnden Locken in der Tür und funkelte mich an.
»Was ist denn los, Mama …«
»Still!«, brüllte sie. »Jetzt rede ich!« Sie erinnerte mich ein bisschen an Leander. Sie fuchtelte so ähnlich mit den Armen in der Luft herum wie er. Doch dann brach sie plötzlich in Tränen aus. Schlagartig waren ihre Wangen nass.
»Luzie, wie kannst du uns das antun? Du hast uns belogen, Tag für Tag hast du uns belogen – meine eigene Tochter hat mich belogen!« Ihre Stimme überschlug sich blechern und sie begann zu schluchzen. »Wie lange schon?«, rief sie und raufte sich die Haare.
Ich war inzwischen bei ihr angelangt, traute mich aber nicht, an ihr vorbei in die Wohnung zu gehen. Doch das brauchte ich gar nicht. Sie packte mich eisern an den Schultern und schob mich durch den Flur, bis wir mein Zimmer erreichten. Die Tür war offen und mein Laptop stand aufgeklappt auf dem Schreibtisch. Hatte ich ihn vorhin nicht zugemacht und wie sonst immer auf Stand-by geschaltet?
»Da!«, schrie Mama und deutete auf den Computer. Ich befreite mich aus ihrem
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