Verdammt (German Edition)
heißt, dass du ewig leben wirst. Du wirst immer jung und schön bleiben. Und du wirst dich nie wieder mit Nina, der Highschool oder Leuten wie Jake und Tiffany herumschlagen müssen.«
»Und mein Dad? Was ist mit ihm?«, hake ich nach, auf einmal voller schmerzlicher Sehnsucht nach ihm – einer Sehnsucht, die sich sofort legt, als ich die Wahrheit erkenne:
Der Mensch, nach dem ich mich sehne, ist längst passé. Mein alter Dad, der Mann, der er einmal war, ist in dem Moment verschwunden, als er sich mit Nina zusammengetan hat. Dabei hat er einen neuen, alles andere als besseren Dad zurückgelassen. Einen, der kaum Notiz von mir nimmt. Einen, der eindeutig darauf erpicht ist, die Vergangenheit zu vergessen und eine Zukunft willkommen zu heißen, der ich lieber aus dem Weg gehe.
Er zuckt die Achseln. »Das ist der einzige Nachteil. Du kannst ihn nie wieder sehen. Aber es ist immer irgendwas, oder? Alles kostet seinen Preis.« Er legt einen Arm um mich und hilft mir beim Aufstehen. »Und jetzt musst du erst einmal zu Kräften kommen. Du musst was essen.«
Auf sein Klingeln kommt Violet, nach wie vor in Gestalt ihres jüngeren Ichs, Camellia, herein. »Miss.« Sie verneigt sich vor mir, ohne noch irgendeine eigentümliche Macht über mich auszuüben. Nun wagt sie es nicht mehr, Blickkontakt aufzunehmen, jetzt, da unsere Positionen als Herrin und Dienerin neu zementiert worden sind. Sie stellt mir einen Teller mit einem Berg Würstchen hin und sagt: »Sie sind ganz frisch. Eine Gefälligkeit des netten jungen Stallburschen vom Landgut nebenan.«
Bram schaut zwischen uns hin und her, ehe er Camellia mit einer Handbewegung entlässt. »Also.« Er beugt sich zu mir herüber. »Noch ein paar von den Blutwürstchen, die du offenbar so liebst?« Er lächelt. »Oder – noch einen Happen von mir?« Er lockert seinen Kragen und legt ein Stück Hals frei, an dem ich schon einmal gesaugt habe, wie ich mich vage erinnere – kurz nachdem er mich gebissen hat.
Und als ich ihn ansehe, weiß ich, dass das nur eine
weitere Erfahrung ist, die ich akzeptieren muss – eine, die nicht nur meiner Kunst Nahrung geben, sondern auch meine Seele befreien wird – genau wie er gesagt hat.
Ich blicke in den Spiegel vor uns und sehe ihn mit seinem nach hinten gekämmten Haar, der schwarzen Weste, den schwarzen Hosen und dem weißen Rüschenhemd, daneben ich in meinem Kleid aus schwarzer Moiréseide, inzwischen ergänzt durch ein pechschwarzes Diadem auf dem Kopf.
Und so greife ich nach ihm und ziehe ihn an mich, während meine Lippen sich begehrlich den seinen nähern. Ich erinnere mich daran, was für ein Gefühl es war, geliebt zu werden, richtig geliebt zu werden, damals, vor all den Jahren, als wir uns zum ersten Mal begegnet sind, und ich weiß, dass ich diese Liebe jetzt wiedergefunden habe. Ich senke den Kopf, presse die Lippen an seinen Hals und trinke.
Seine Arme umfangen mich liebevoll und beschützend und bringen mich nach Hause.
In mein wahres Zuhause.
Das Zuhause, das mir seit jeher zugedacht war.
KRISTIN CAST
Oben
Eins
Erde.
Sie sitzt in ihrem Bauch, verschluckt von Schmutz,
verlassen
verletzt
gebrochen.
Ein Teil der Welt, den niemand will, begraben zwischen Wesen, die schleimig und aufgebläht sind von Müll.
Sie ist eine Baumwurzel, unten festgeklemmt:
kurz vorm Ersticken,
heftig zappelnd,
um freizukommen.
Das Geflüster der Wesen um sie herum sagt ihr
»du bist in Sicherheit
in einer warmen Umarmung geborgen
Unten.«
Sie hat noch nie Sicherheit erfahren. Immer eingeschüchtert, angegriffen, gequält.
Keine Luft. Kein Licht. Keine Aussicht auf Staunen, Freude, Liebe oder Schutz.
Zuhause
sie hat dich nicht gefunden.
Aber Oben …
Der Gedanke kitzelt ihr Herz und macht ihre gebräunte
Haut weich, klebrig und warm. In ihren Tagträumen treiben Bilder des Glücks über der Erde herbei.
Oben kann sie lebendig sein.
Oben kann sie in Sicherheit sein.
Überall ist es besser als Unten.
Von ihrem unterirdischen Posten schaut sie hinauf. Ihr Haar, von der Farbe trockenen Laubs, fällt über den Rücken ihres Pelzkleids. Ihre Nackenmuskeln sind gespannt vom Träumen. Durch einen Spalt in der ausgehöhlten Erde glitzert die Hitze einer untergehenden Sonne. Seine Ausmaße gewähren freie Sicht auf das blaue Oben und die Möglichkeit,
die Anderen zu betrachten.
Sie wartet, hofft, einen Blick zu erhaschen.
Zitternd vor Vorfreude und Erregung werden ihre Atemzüge flach und lautlos. Würde sie
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