Verdammt
Schaden anrichten konnte. Der andere Strigoi kam nicht einmal dazu, auf ein Opfer loszugehen, bevor auch er überwältigt wurde.
Nach wenigen Minuten hatte sich die Menge wieder beruhigt, sobald feststand, dass die Gefahr gebannt war. Ein paar Wächter zerrten die Leichen der gepfählten Strigoi weg, um sie zu verbrennen, während die anderen riefen, dass die Moroi jetzt endlich an Bord gehen sollten. Im Pulk mit den anderen marschierte Eric verwirrt auf den Kai zu und versuchte zu verarbeiten, was geschehen war.
Auf etlichen Gesichtern seiner Klassenkameraden spiegelten
sich Erics eigene Gefühle wider. Dies waren Moroi, die entweder schon einmal Strigoi begegnet oder sich zumindest des Risikos bewusst waren. Alle anderen hatten den größten Teil ihres Lebens in der Sicherheit ihrer gut bewachten Schule zugebracht und nie einen Strigoi zu Gesicht bekommen. Natürlich waren sie alle mit den entsprechenden Geschichten aufgewachsen, doch die rasche Ausschaltung der Strigoi eben hatte leider die Ängste einiger sofort wieder zerstreut. Ein naiver und gefährlicher Fehler.
»Hast du das gesehen?«, rief Emma. Trotz ihres anfänglichen Grauens schien auch sie zu denen zu zählen, die ihre Wachsamkeit lockerten. »Die Strigoi sind aufgetaucht, und dann – peng! – haben die Wächter sie einfach plattgemacht! Was haben sie sich nur dabei gedacht? Die Strigoi, meine ich. Sie waren doch total in der Minderzahl.«
Eric ersparte es sich, sie auf das Offensichtliche hinzuweisen. Strigoi kümmerten sich nicht um so etwas – vor allem weil es oft ganz egal war, wie viele sie waren. Nur zwei Strigoi waren nötig gewesen, um seine Mutter und die Gruppe, mit der sie zusammen gewesen war, niederzumetzeln, darunter sechs Wächter. In vielen Situationen wären sechs Wächter mehr als genug gewesen. Doch für seine Mutter hatte es nicht gereicht, und es wunderte Eric ein bisschen, dass die Ausschaltung der beiden Strigoi Emma derart in sensationslüsterne Aufgeregtheit versetzte, dass sie sogar seine Familiengeschichte vergaß.
Seit dem Tod seiner Mutter kamen andauernd Strigoi in seinen Albträumen vor, Albträume, die offenbar niemanden interessierten. Dass die Kreaturen in seinen Albträumen nicht seiner jüngsten Wirklichkeit entsprachen,
schien keine Rolle zu spielen. Einen Augenblick lang konnte er kaum gehen, so sehr hielt ihn die Erinnerung an dieses entsetzliche, zähnefletschende Gesicht in ihrem Bann. War es so auch bei seiner Mutter gewesen? War sie auch so plötzlich und brutal angefallen worden? Keine Warnung … nur Reißzähne, die ihr den Hals aufbissen … Seine Mitschülerin war gerettet worden, ehe die tödlichen Zähne Hautkontakt aufnehmen konnten. So viel Glück hatte seine Mutter nicht gehabt.
»Alle reden mit Ashley«, murrte Emma und nickte zu der Stelle hin, wo sich mehrere Leute um das Beinahe-Opfer geschart hatten, während sie an Bord der Jacht gingen. »Ich will auch wissen, wie es war.«
Schrecklich, dachte Eric. Beängstigend. Doch Ashley schien die Aufmerksamkeit zu genießen. Und all ihre anderen Klassenkameraden waren total aufgedreht und voller Vorfreude – als wäre der Strigoi-Überfall als Unterhaltungsauftakt für die Party inszeniert worden. Er starrte sie allesamt entgeistert an. Wie konnte keiner von ihnen die Sache ernst nehmen? Die Strigoi töteten seit Jahrhunderten Moroi. Wie konnte sich niemand an den Tod seiner Mutter erinnern, der erst sechs Monate zurücklag? Wie konnte sich Emma nicht daran erinnern? Sie war an sich nicht grausam, doch es entsetzte ihn ein wenig, wie gedankenlos sie sich nach der aufregenden »Showeinlage« seinen Gefühlen gegenüber zeigte.
Vielleicht hätte er sich gar nicht zu wundern brauchen. Selbst sein eigener Vater schien sich ja die halbe Zeit nicht an die Vergangenheit zu erinnern. Offenbar waren alle der Meinung, Eric sollte seine Trauer überwunden haben und sein Leben weiterleben. Sein Vater dachte auf jeden Fall
so. Manchmal fragte sich Eric, ob das Beharren seines Vaters, er solle möglichst jung heiraten, an die Stelle echter Trauer getreten war. Frederick Dragomir war besessen davon, seinen königlichen Stammbaum zu erhalten, von dem momentan nur noch zwei Personen lebten, nämlich Vater und Sohn.
Emma grinste Eric an, und das Licht des Halbmonds ließ ihre Augen glänzen. Auf einmal erschienen sie ihm etwas weniger anziehend als zuvor. »War das nicht der Wahnsinn?«, fragte sie. »Ich bin echt gespannt, was als Nächstes
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