Verdammt
im Schuljahr aus meiner Klasse herausgerissen.« Er lacht. »Wie ist es denn in der Highschool? Ist es so wie im Fernsehen?«
Ich schaue auf meinen Teller und denke daran, wie höllisch
das letzte Halbjahr war, als die Geschichte mit Jake und Tiffany losging. Wie mich alle angegafft und über mich getratscht haben und wie das betreffende Paar es offenbar genoss, sich möglichst auffällig zu geben, indem sie andauernd vor Tiffanys Spind herumknutschten, der nur zwei Reihen von meinem entfernt war. Und ich hatte keinerlei Unterstützung, sondern war mutterseelenallein. Mein Dad war zu beschäftigt und Nina zu … gehässig, und außerdem hatte ich mich in den letzten Jahren dummerweise so sehr auf Tiffany verlassen, dass ich es versäumt hatte, mich mit anderen anzufreunden. Und obwohl meine Reise nach England für das mit dem Aus den Augen gesorgt hat, warte ich immer noch darauf, dass das Aus dem Sinn postwendend nachfolgt. Ich wünschte, er würde sich beeilen.
»Es ist überhaupt nicht so wie im Fernsehen«, sage ich und versuche, durch seine Brille zu spähen und zu ergründen, was sich hinter den dunklen Gläsern verbirgt. Doch die einzigen Augen, die ich sehe, sind meine eigenen, die sich darin spiegeln. »Ganz und gar nicht.« Ich seufze. »Glaub mir, es ist noch viel schlimmer.«
Sowie wir mit Essen fertig sind, räumt Camellia unser Geschirr ab und will uns wieder auf unsere Zimmer scheuchen, damit wir malen können. Aber wir wollen nicht zurück auf unsere Zimmer, und als wir das sagen, wird sie ziemlich ärgerlich.
»Wir brauchen ja keinen Babysitter«, sagt Bram und lächelt sie in seiner charmanten Art an. »Wenn Sie ausgehen wollen, gehen Sie nur. Wir können auf uns selbst aufpassen.«
Sie schaut zwischen uns hin und her und ist offensichtlich
so unglücklich über unsere Weigerung, ihren Plänen zu folgen, dass ich schon fast bereit bin, nur ihr zuliebe einzuwilligen, da ich mir vorstelle, dass wir uns später immer noch davonschleichen können. Doch als sie mit einem Stapel Teller verschwindet, beugt sich Bram zu mir und fragt: »Was ist denn mit der los?«
Ich zucke die Achseln, denn ich habe keine Ahnung, was mit irgendjemandem los ist. Ich bin nicht wie er. Ich bin nicht auf Reisen aufgewachsen, wo man an exotischen Orten Wein trinkt und eine Mom hat, die in einer Gothic-Band spielt. Ich bin ein halb verwaistes Einzelkind aus einem Vorort von L. A., das an ein ziemlich normales Durchschnittsleben gewöhnt ist und, ach ja, zufällig künstlerische Ambitionen hegt. Aber trotzdem, ganz egal, wie seltsam es hier auch ist, mit unseren Kleidern, dem Dunst, Violet und Camellia – ich habe nicht das geringste Heimweh. Ich meine, ja, mir fehlt mein Dad – oder zumindest die frühere Version von ihm. Aber mir fehlt weder Nina noch meine Schule noch eine der zwei Personen, mit denen ich früher befreundet war.
Auf einmal steht Bram neben mir und reicht mir die Hand. »Komm schon«, sagt er, »hauen wir ab hier, ehe sie zurückkommt.«
Wir schlüpfen zur Vordertür hinaus und treten mitten in den Dunst. Lachend stolpern wir voran und klammern uns aneinander, um uns nicht zu verlieren. Und obwohl sich seine Hand so gut anfühlt, da sich seine weiche, kühle Haut fest an meine schmiegt und seine Finger so glatt mit meinen verschmelzen, rufe ich mir rasch in Erinnerung, dass dies rein praktischen Gründen dient. Damit wir nicht getrennt werden und uns in dem Nebel verlieren. Ganz
egal, wie schön, ganz egal, wie richtig es sich auch anfühlen mag, es bedeutet ihm nichts, also sollte es auch mir nichts bedeuten.
Wir tasten uns weiter langsam und vorsichtig auf den Bereich zu, wo der Dunst am dicksten ist. Erst als ich kopfüber über einen Grabstein falle, begreifen wir, dass wir auf einen Friedhof gestoßen sind.
»Muss das Familiengrab sein«, sagt Bram, dessen Stimme von irgendwo über mir kommt, während er mir aufhilft. »Und pass auf die Rosenbüsche auf. Sie sind so groß und brutal, dass sie einen praktisch anspringen.«
Doch kaum hat er den Satz beendet, ist es schon zu spät. Ich wurde bereits von einer dieser Dornen gekratzt, die sich mir seitlich in den Hals gebohrt hat, irgendwo zwischen Ohr und Schlüsselbein.
Ich lasse seine Hand los, um die Verletzung zu betasten. Meine Finger rutschen durch etwas Warmes, Nasses, das nur Blut sein kann – mein Blut.
»Zu spät«, sage ich, und zucke zusammen, als ich noch einmal hinfasse. »Vielleicht sollten wir wieder reingehen, damit ich
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