Verdammt
Halsschlagader spritzte.
»Versiegeln!«, rief Neil.
Ich bückte mich und leckte die Wunde. Unter meiner Zunge konnte ich nach wie vor den Puls des Mannes kräftig schlagen hören. Ich horchte auf seine Atmung und hob seine Lider an, als Neil erneut zu sprechen anhob. »Es ist alles in Ordnung, Katiana«, sagte er. »Ich habe zugesehen. Ihm geht’s gut.«
Ich hatte das Gefühl, stundenlang getrunken zu haben, doch der Typ war nicht einmal besonders bleich. Erleichtert atmete ich aus.
»Besser?«, fragte Neil.
Ich nickte, wischte mir den Mund und überprüfte, ob ich meine Reißzähne wieder eingezogen hatte.
Er hockte sich vor mich hin, sodass wir auf gleicher Höhe waren. »Was ich vorhin gesagt habe – ich wollte dich nicht beleidigen. Ich war bloß …« Er rieb sich den Nacken. »Früher war ich so ein Typ – einer, der denkt, dass es was bedeutet, wenn ein Mädchen nett zu ihm ist und ihn um Hilfe bei den Hausaufgaben bittet. Damit bin ich auf die Schnauze gefallen, und ich falle nicht gern auf die Schnauze, deshalb schiebe ich gleich von vornherein einen Riegel vor.«
Ich sah ihn an. »Ich wette, du hast eine ganze Menge Mädchen verpasst, die dich gern näher kennengelernt hätten.«
»Vielleicht.«
»Wahrscheinlich.«
Er senkte den Blick, während seine Wangen rot anliefen. Als ich bemerkte, wie ihm das Blut ins Gesicht stieg, seine Halsschlagader pulsierte und sich sein Herzschlag beschleunigte, verspürte ich den Drang, mich vorzulehnen. Aber nicht um ihn zu beißen. Das war momentan ganz weg. Ich sah kein Essen. Roch kein Essen. Spürte kein Essen. Ich sah nur Neil, und das Einzige, woran ich dachte, war, mich vorzubeugen und ihn zu küssen.
Ich tat es nicht. Oh, ich würde es tun, zum richtigen Zeitpunkt, doch das war nicht jetzt. In diesem Moment war nur wichtig, dass ich ihn anschauen konnte und einen gut aussehenden Jungen vor mir sah und genau die gleichen Gefühle hatte, die ich auch vor einem halben Jahr gehabt hätte.
Als ich lächelte, fragte er »Was?«, und ich sagte »Nichts« und stand auf, und ehe ich noch etwas hinzufügen konnte, rumpelte ein Auto vorbei.
»Glaubst du, das ist unsere Mitfahrgelegenheit?«, fragte ich.
»Ich hoffe es.«
»Am besten schauen wir mal nach.«
Ich lief los und kam gerade rechtzeitig am Waldrand an, um einen Mietwagen mit einem vertrauten Blondschopf hinter dem Lenkrad vorbeifahren zu sehen. Ich steckte die Finger in den Mund und pfiff. Die Bremslichter leuchteten auf. Dann gingen die Rückfahrscheinwerfer an, und Staub wirbelte auf, als der Wagen zurücksetzte.
Marguerite hatte den Wagen kaum zum Stehen gebracht, da sprang sie schon heraus. Sie kam herübergerannt und schloss mich so fest in die Arme, dass sie mir dabei fast ein paar Rippen brach.
»Huch!« Ich machte mich aus ihrer Umarmung frei. »Zum Glück muss ich nicht atmen.«
»Geht’s dir gut? Was haben sie mit dir gemacht? Bist du verletzt?«
»Ich bin ein Vampir, Mags. Mich kann man nicht verletzen.« Ich winkte Neil zu, der gerade aus dem Wald kam. »Aber wenn du unbedingt jemanden bemuttern willst, dann springt er heute für mich ein.«
»Allo , Neil«, sagte sie. »Du erinnerst dich bestimmt nicht an mich, aber wir sind uns vor vielen Jahren schon mal begegnet.«
»Gut«, sagte ich. »Das erspart uns die Vorstellungsrunde. Ich habe Neil und seine Eltern eingeladen, mit uns nach New York zu kommen. Ich hoffe, das ist in Ordnung.«
»Natürlich. Wenn er das möchte.«
Neil sah erst kurz mich und dann wieder Marguerite an. »Möchte ich gern.«
»Dann ist ja alles geklärt«, sagte ich. »Ihr zwei könnt eure Bekanntschaft auffrischen, während ich zum nächsten Münztelefon fahre.«
»Du fährst überhaupt nirgends hin, mon chaton .«
Als wir am Auto anlangten, schaute ich zurück dorthin, wo wir hergekommen waren, zu der Lichtung, wo wir die beiden Kopfgeldjäger zurückgelassen hatten. Zurück dorthin, wo ich mich zum ersten Mal wie ein Vampir ernährt hatte.
»Ist schon gut«, flüsterte Neil, als wir hinten in den Wagen stiegen.
Ich nickte lächelnd. Es war noch nicht alles gut, aber es würde wieder gut werden. Zum ersten Mal seit sechs Monaten war ich mir dessen sicher.
FRANCESCA LIA BLOCK
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