Verdeckt
sich die Mühe gemacht, eine ganze Wand mit der amerikanischen Flagge zu bemalen. Die Farben waren frisch und strahlend.
Die Ironie, die darin lag, ausgerechnet vor diesem Symbol der Freiheit gefoltert zu werden, war Cal nicht entgangen.
Er erinnerte sich daran, dass man ihn in seiner Garage überwältigt hatte. Er war gerade hineingefahren und aus seinem Truck gestiegen. Ein heftiger Schlag auf den Kopf, und seine Erinnerung setzte aus. Irgendwann war er mit der Schwiegermutter aller Kopfschmerzen hier aufgewacht. Und da war es ihm noch richtig gut gegangen.
Er schloss das sehende Auge und legte den Kopf zurück auf die Lehne des hölzernen Stuhles. Noch immer bohrte das Summen in seinem Gehirn. Es war ständig dasselbe Lied. Wieder und wieder. Er hätte dem Summer gern gesagt, er solle verdammt noch mal damit aufhören. Doch diesen Fehler hatte er schon einmal gemacht. Seither hatte er nur noch ein funktionierendes Auge und das wollte er ungern auch noch verlieren.
Also behielt er seine Meinung für sich und den widerlichen Knebel im Mund.
»Du jagst doch gern, Cal?« Das Summen hatte aufgehört. »Ich weiß das. Wapitis, Hirsche, Enten. Menschen.«
Cals Kopf fuhr von der Stuhllehne hoch. Sein Auge öffnete sich wieder.
»Das gefällt dir nicht, oder? Menschen? Ich weiß, dass du Menschen gejagt hast. Dreißig Jahre lang. Stimmt’s? Machen das nicht alle Cops? Ist das nicht ein großer Teil eurer Arbeit?«
Der Summer stand hinter ihm. Cal konnte sein Gesicht nicht sehen. Aber das war auch nicht nötig. Es hatte sich tief in seine Erinnerung gerammt. Diesen Kerl würde er nie vergessen. Niemals.
»Irgendwann mal jemanden allegemacht?« Der Summer hielt inne. »Darauf musst du nicht antworten. Ich weiß, dass du das nicht getan hast. Ich habe Nachforschungen angestellt. Du warst insgesamt an vier Schießereien beteiligt, hast aber nie jemandem das Licht ausgepustet. Hast du dich je gefragt, wie sich das anfühlenwürde? Jemandem das Leben zu nehmen? Würde die Schuld dich kaputtmachen? Dir das Hirn zerfressen? So wie es bei Frank Settler war?«
Cal zuckte zusammen. Seine Hand- und Fußgelenke ruckten an den Fesseln. Frankie war seit über zwanzig Jahren tot. Selbstmord. Er war auch ein Cop gewesen, hatte aus Versehen einen Jungen erschossen und das nie verkraftet. Frankies Qualen hatten Cal über Jahre verfolgt.
Wer war dieser Kerl?
»Frank muss ein ziemlicher Waschlappen gewesen sein. Keine Kontrolle über sein Innenleben. Erschreckend. Das ist der Unterschied zwischen Jungs und Männern, Cal. Man muss seine Gefühle und Handlungen im Griff haben. Mit Selbstdisziplin kann ein Mann alles erreichen, was er will. Aber die muss man sich erarbeiten und erhalten.«
Was sollte der Scheiß?
»Ted Bundy besaß anfangs viel Willenskraft. Dann hat er sie verloren. Er hatte einen präzisen Plan, hielt sich aber nicht daran. Dabei ist das der Schlüssel für jeden Erfolg:
Halte dich an deinen Plan
. Bundy wäre der Polizei nie ins Netz gegangen, wenn er einen kühlen Kopf bewahrt und sein Verlangen unter Kontrolle gehalten hätte.«
In der Stimme des Mannes lag Enttäuschung. Anscheinend war Bundy auf schmählichste Weise hinter seinen Erwartungen zurückgeblieben. Nach Bundys Hinrichtung hatte dieses Arschloch vermutlich getrauert.
Der Summer blieb an dem Klapptisch aus der Eisenhower-Ära stehen, vor den er Cal gesetzt hatte. Die Angst ließ Cals Rückgrat prickeln. Das war ein Foltertisch. Er war bestückt, als wäre der Summer durch seine Garage gegangen, hätte wahllos Gegenstände eingesammelt und auf diesem Tisch ausgebreitet. Hämmer, Harken, einen Schraubenschlüssel, einen langen Schlauch. Auf grauenhaft einfallsreiche Weise hatte der Kerl diese Dinge mit ein paar Handgriffen so verändert, dass man damit jemandem große Schmerzen zufügen konnte.
Abgesehen von der Schrotflinte. Die hatte er im Originalzustand belassen. Cal hatte das Gewehr sofort erkannt. Es war sein eigenes, stammte aus seiner persönlichen Waffensammlung. Als der Mann über den Lauf strich, die Hand dort ruhen ließ, beschleunigte sich Cals Herzschlag. Doch die Hand glitt weiter zu einem anderen Gegenstand. Cal sah zu, wie der Verrückte eine kleine pinkfarbene Schuhschachtel öffnete. Dabei bäumte sich Cals Magen in bitterer Angst auf.
Ein Haarband?
Der Summer nahm ein hellblaues Mädchenhaarband heraus und streichelte es zärtlich. Ein sanftes Lächeln glitt über sein Gesicht; in seine Augen trat der abwesende Ausdruck
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