Verdeckt
den Opfern gezählt. Im Gegensatz zu den anderen Frauen war sie nicht direktvom OSU-Campus verschwunden. Sie war in einem Geschäftsviertel fernab der Uni entführt worden und blieb verschwunden, während die Leichen der anderen Opfer stets jeweils zwei bis drei Wochen nach ihrer Verschleppung gefunden worden waren. Nach seiner Verhaftung hatte Dave DeCosta gestanden, auch Suzanne entführt zu haben, wodurch sie offiziell zu seinem neunten Opfer erklärt wurde. Doch DeCosta weigerte sich, der Polizei das Versteck der Leiche zu nennen.
Sämtliche Cops hatten erleichtert durchgeatmet, als der Killer gefasst worden war. Mason war nach Hause gegangen und hatte – froh, dass der Alptraum vorüber war – vierundzwanzig Stunden lang geschlafen.
Einen Fall wie diesen hatte er nie wieder gehabt und das war gut so.
Mason standen die Bilder der Opfer noch immer vor Augen. Während der Ermittlungen hatte er sich jedes einzelne tausendmal angesehen. Auch an das Foto der temperamentvollen blonden Turnerin erinnerte er sich noch gut. Sie war ein sehr hübsches Mädchen mit einem breiten Lächeln und blonden Lockenkringeln gewesen. Diese frische, energiesprühende Schönheit, die sie und die anderen Opfer zu etwas Besonderem machte, hatte den Killer vermutlich magisch angezogen. Alle waren Sportlerinnen gewesen und blond.
Nur in Suzannes Fall gab es eine Zeugin für die Entführung. Suzanne war mit einer anderen Turnerin zusammen durchs Stadtzentrum spaziert. Die beiden wollten zu einem Mannschaftsdinner in einem Restaurant in der Nähe. DeCosta hatte zuerst die Zeugin attackiert. Sie hatte sich erfolgreich gegen den Dreckskerl gewehrt, dabei allerdings einen Beinbruch und schwere Kopfverletzungen davongetragen. Nach dem Kampf mit der Zeugin hatte DeCosta sich auf Suzanne gestürzt, sie k. o. geschlagen und zu seinem Wagen geschleppt. Obwohl sie schwer verletzt in einer Blutlache auf dem Gehsteig gelegen hatte, war es der anderen jungen Frau gelungen, sich einen Teil des Nummernschilds zu merken. Später hatte sie vor Gericht gegen den Killer ausgesagt.
Auch das Bild der übel zugerichteten Zeugin hatte sich in Masons Gedächtnis gegraben. Sie saß jetzt vor ihm. Er musterte das verstörte Gesicht der jungen Frau.
»Sie waren dabei«, sagte er leise. »Sie waren diejenige, die ihm damals entkommen ist.«
Dr. Campbell reagierte nicht.
Aus dem Augenwinkel sah Mason, wie Ray die Kinnlade herunterfiel. Zwar wusste jeder, dass es ein Mädchen gab, das dem Killer entkommen war, doch die Identität der Zeugin war nie preisgegeben worden. Ray musterte Dr. Campbell mit einer Mischung aus Neugier und Ehrfurcht.
Er hatte denselben unfassbaren Gedanken wie Mason:
Die Frau, die das Skelett identifiziert hatte, und das Mädchen, das dem Mörder damals entkommen war, sollten ein und dieselbe Person sein?
»Sie waren das?«, fragte Ray.
Lacey nickte stumm.
»Und Sie sind sich ganz sicher, dass wir es mit dem Skelett von Suzanne Mills zu tun haben?«
Dr. Campbell sah Mason nicht an. Sie fixierte das triste Zelt, in dem die Überreste ihrer Freundin lagen.
»Besser als ich kennt sie keiner.«
V IER
Cal versuchte, die Melodie zu erkennen, die sein Entführer die ganze Zeit summte. Eine Rock-Hymne aus den Sechzigern, vielleicht aus den frühen Siebzigern. Der Leadsänger hatte eine große Hakennase. Wie hieß doch gleich die Band? Wie hieß das Lied? Cal zermarterte sich das Gehirn.
Diese unwichtigen Fragen quälten ihn.
Cal öffnete die Augen. Eigentlich nur eines. Das andere war zugeschwollen, seit … Wie lang saß er schon hier? Der Raum hatte keine Fenster, es gab keine Uhr.
Nichts, woran sich ablesen ließ, wie die Zeit verging.
Seine Blase hatte sich entleert, als er schon eine Weile auf den Stuhl gefesselt gewesen war. Das war schon lang her. Eine Ewigkeit lang hatte er gegen den Drang angekämpft, aber irgendwann aufgegeben.
Zwölf Stunden? Vierundzwanzig Stunden? Tage?
Er wusste weder, seit wann oder – was noch wichtiger war –
warum
er sich hier befand.
Der Raum war eisig. Und er stank. Anfangs hatte er nur modrig und muffig gerochen, so als hätte man ihn lang nicht benutzt. Doch nun wurde Cal fast übel vom scharfen Ammoniakgestank des Urins.
Wegen der niedrigen Decke und des Lehmbodens nahm er an, dass er sich in einem Keller befand. Die Wände bestanden aus großen Betonziegeln, die dem Raum eine Atmosphäre gaben, als läge er unzugänglich und undurchdringlich tief unter der Erde.Jemand hatte
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