Verdeckt
und schlüpfte vollends in den dicken Mantel. »Okay.« Er schlang sich seinen schwarzen Schal ordentlich um den Hals. »Kommst du morgen zu uns, das Spiel ansehen? Jill macht den Nacho-Dip, den du so magst.«
»Das lasse ich mir auf keinen Fall entgehen.« Mason drehte seinen Bleistift zwischen den Fingern. »Bis morgen.«
»Bis dann.« Ray hastete zur Tür, warf aber noch einen letzten Blick zurück. »Geh nach Hause, Callahan.«
»Mach ich. Mach ich. Und jetzt verschwinde.«
Als Ray um die Ecke gebogen war, seufzte Mason auf. Er sank tiefer in seinen Sessel und stellte ihn wieder so, dass er das Whiteboard vor sich hatte. Der Sessel quietschte und ächzte, als er ihn zurückkippte. Mason ließ die Finger knacken, studierte sein Diagramm und konzentrierte sich wieder auf den Fall.
Was passierte da draußen, verdammt noch mal?
S ECHS
Die zahnmedizinische Fakultät auf dem Hügel über Portland nahm nur einen kleinen Teil des weitläufigen Campus’ der Oregon Health Sciences University ein. Auf jedem Behandlungsstuhl zwischen den altersgrauen Mauern saß ein Mensch mit offenem Mund.
Lacey sah zu, wie ein Student die kariösen Stellen vom Zahn eines kleinen Mädchens entfernte. Nicks hochgezogene Augenbrauen und die weit aufgerissenen Augen sagten ihr, dass er kaum fassen konnte, wie groß das Loch war. Ihr ging es genauso. Das Ding sah aus wie ein Mondkrater. Mit seinen zehn Jahren war dieses Kind noch nie bei einem Zahnarzt gewesen. Aber wenigstens hielt die Kleine still und ließ Nick seine Arbeit tun. Manchmal zappelten die jungen Patienten wie …
Verdammt
! Lacey rückte näher, damit sie Nick etwas in Ohr flüstern konnte.
»Wenn Sie noch tiefer bohren, wird eine Wurzelbehandlung draus und keine Füllung.«
Beim Klang von Laceys Stimme riss Nick das Instrument geradezu aus dem Mund des Kindes und richtete sich auf. Lacey sah, wie ihm die Röte ins Gesicht schoss. Sie verkniff sich ein Grinsen. Solche Reaktionen waren bei ihren Studenten nicht selten. Nick schluckte. Lacey sah unterhalb der blauen Chirurgenmaske seinen Adamsapfel hüpfen. Das kleine Mädchen blinzelte Nick verwundert an.
Braves Kind.
Hat viel Geduld mit seinem Nachwuchsdentisten.
Lacey schaute auf die Uhr und betete, dass die Praxisübung, die jeden Montag stattfand, bald zu Ende war. Aber sie musste nochzwei Stunden durchhalten. Sie verzog das Gesicht. Das gleißende Neonlicht der betagten Praxisräume verschlimmerte die stechenden Kopfschmerzen hinter ihren Augen.
Auch der Stress vom Wochenende war nicht spurlos an ihr vorbeigegangen.
Schließlich identifizierte man nicht jeden Tag das verschollene Skelett der besten Freundin. Nach der stundenlangen Befragung durch die Polizei am Samstag hatte sie den ganzen Sonntag verschlafen.
Die Alpträume hatte sie sich mit Tranquilizern vom Hals gehalten.
Und damit gegen ihren eigenen ehernen Vorsatz verstoßen. Diese Art von Flucht war zu einfach.
Seit Samstagmorgen befand sie sich auf einer emotionalen Achterbahn. Ein derart heftiges und schmerzhaftes Auf und Ab hatte sie seit dem Tod ihrer Mutter nicht mehr erlebt. Lacey rieb sich die Schläfen. Die Gefühle, die sie so sorgfältig unter Verschluss gehalten hatte, drohten nun zu explodieren.
Das ganze Wochenende über war sie nicht ans Telefon gegangen. Ihr Vater hatte einige Nachrichten auf ihren Anrufbeantworter gesprochen – aber nicht halb so viele wie Michael. Sie nahm an, dass Michael bereits am Samstagmorgen von Suzanne erfahren hatte. Als Reporter einer namhaften Zeitung hatte man gewisse Verbindungen. Michael kannte Laceys Geschichte so gut wie Suzannes. Bis ins kleinste grässliche Detail.
Aber Lacey wollte noch nicht reden.
Michaels letzte Nachricht auf dem Anrufbeantworter hatte gelautet, er würde kommen und an ihre Tür wummern, wenn sie nicht sofort ranginge. Und das am Sonntagmorgen um zwei. Lacey wusste, dass er nicht bluffte. Für einen zum guten Freund mutierten Exfreund war Michaels Beschützerinstinkt eindeutig zu stark ausgeprägt. Sie hatte ihm eine SMS geschickt: »JETZT NICHT.« Seither ließ er sie in Ruhe.
Sie hätte mit Michael reden sollen. Er hätte sie darauf vorbereitet, dass der Knochenfund heute auf sämtlichen Titelseiten Themasein würde. Mit der Kaffeetasse in der Hand hatte sie die Zeitung von der Veranda geholt und die Schlagzeile hatte ihr die Kehle zugeschnürt. »Überreste des letzten Opfers des College-Girl-Killers in Lakefield gefunden.« Doch beim Anblick von Michaels Namen
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