Verdi hören und sterben: Ein Roman aus Venedig und dem Veneto (German Edition)
hätte eigentlich viergeschossig werden sollen, aber es ist nur das Erdgeschoss fertig geworden, weshalb man ihn auch den Palazzo nonfinito nennt. Peggy Guggenheim war eine großartige Frau …«
»Natürlich war sie das, sie war ja auch eine Amerikanerin!«, warf Bill ein.
»Auf diesen Hinweis habe ich gewartet«, erwiderte Laura lachend.
38
D ie beiden letzten Tage mit der Reisegruppe in Venedig hatte sich Mark geschenkt. Zwar hatten noch die Glanzlichter der Lagunenstadt auf dem Programm gestanden, die Basilica di San Marco zum Beispiel, der Dogenpalast, die Seufzerbrücke, die Barockkirche Santa Maria della Salute, die Scuola Grande di San Rocco mit dem berühmten Gemäldezyklus von Tintoretto. Aber eigentlich war dieses gedrängte Kulturerlebnis ohnehin nicht nach seinem Geschmack. Er würde lieber alleine mit Laura durch die Gassen schlendern, gemütlich einen Cappuccino trinken, versteckte Campi entdecken, den Fischmarkt am Rialto anschauen, bröckelnde Fassaden in Stadtvierteln abseits der Touristenströme fotografieren, in einem Bàcaro Cicheti kosten. Und zwischendurch, da hätte er nichts dagegen, auch mal einen Blick auf Fresken von Tiepolo zu werfen. Normalerweise hätte er auch nie eine solche Rundreise gebucht, das war ein spontaner Einfall gewesen, um Laura zu überraschen. Allerdings, das musste er zugeben, hatte es ihm mit den Amerikanern Vergnügen bereitet, weil die das Kulturangebot von der lockeren Seite nahmen und keine bitterernste Studienreise daraus machten.
Aber das war nur der eine, unwichtigere Grund für seine vorzeitige Abreise. Tatsächlich schaffte er es nicht mehr, sich in das touristische Programm zu integrieren, zu sehr war er mit den Gedanken ganz woanders. Und bevor er ständig den Anschluss an die Gruppe verlor, war er lieber abgereist. Vom Haus am Gardasee hatte er einige Male bei Rudolf in München angerufen. Da er ihn daheim nicht erreichen konnte, hatte er sich in Rudolfs Firma nach seinem Verbleib erkundigt. Wie sich herausstellte, war er gerade geschäftlich unterwegs. Morgen sei er allerdings wieder zurück. Rasch hatte er eine Tasche gepackt, den Morgan aus der Garage geholt und war nach München gefahren.
Jetzt stand er im Nobelvorort Grünwald am Marktplatz. Es war früh am Abend. Aus dem Auto rief er bei Rudolf an. Dieser war mehr als verblüfft, als er hörte, dass Mark rein zufällig in unmittelbarer Nähe war. Natürlich könne er sofort bei ihm vorbeikommen, keine Frage. Allerdings habe er gerade Damenbesuch, und es wäre ihm angenehm, wenn er nicht allzu lang bliebe.
Rudolfs Villa war keine zwei Minuten entfernt. Sein Halbbruder öffnete ihm im Bademantel. »Jedem anderen wäre ich jetzt böse«, sagte er zur Begrüßung und boxte Mark im Spaß an die Brust. »Ich hasse solche Überfälle, vor allem, wenn ich gerade vorhabe, eine junge Russin zu vögeln. Aber tritt ein, du bist trotzdem herzlich willkommen. Ich werde Olga fragen, ob sie eine Freundin hat, die rasch vorbeischauen kann.«
»Nein, wirklich nicht, danke«, wehrte Mark ab. »Doch ich weiß deine Gastfreundschaft zu schätzen.«
»Das will ich hoffen, kleiner Bruder. Trinkst du ein Glas Champagner mit, ich habe gerade eine Flasche aufgemacht?«
Rudolf wirkte auf Mark ziemlich überdreht, seine Stimme war viel hektischer als sonst und seine Bewegungen irgendwie fahrig. Doch das mochte an dieser jungen Russin liegen, war ja zu verstehen. Sein Besuch kam wirklich zur unpassenden Zeit.
»Ein Glas Champagner? Gerne. Aber das ist mir jetzt ehrlich unangenehm. Soll ich nicht besser in einer Stunde wieder kommen?«
»In einer Stunde? Bist du verrückt, da bin ich doch mit Olga längst nicht fertig. Da geht die Party erst richtig los. Kein Problem, ich bin in allerbester Stimmung. Lass uns in die Schwimmhalle gehen.«
Er führte Mark eine Treppe hinunter. Die Glastüren gingen automatisch auf.
»Voilà, mein ganz persönliches Naherholungsgebiet.« Rudolf machte eine einladende Handbewegung. »Zieh bitte die Schuhe aus. Olga, mein Schatz, gieß unserem Gast Champagner ein.« Rudolf setzte sich in einen Korbsessel vor der Bar. Während Mark noch an seinen Schnürsenkeln nestelte, sah er aus dem Augenwinkel, wie eine junge Frau aus dem Pool stieg und sich die nassen Haare nach hinten strich.
»Hat diese Olga nicht traumhafte Brüste? So groß und so prall wie die Zwiebeltürme am Kreml.«
Und so unecht wie Pamela Anderson in ihren besten Jahren, dachte Mark, der gleichwohl zugeben musste,
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