Verdi hören und sterben: Ein Roman aus Venedig und dem Veneto (German Edition)
Venezianer auch den Zucker für das Abendland entdeckt und die Kunst der Zuckerbäckerei entwickelt. Nur logisch, dass auch das zuckerreiche Marzipan seinen Ursprung in Venedig habe. Als Brot des heiligen Markus habe man es
Marci panis
genannt. Auch die Krapfen, die normalerweise die Wiener für sich in Anspruch nehmen, hätten in Venedig eine viel längere Tradition. Laura hob triumphierend ihre Gabel. »Selbst die Forchetta ist eine Erfindung der Serenissima. Sie hatte ursprünglich nur zwei Spitzen, was aber zum Aufspießen der Köstlichkeiten völlig reichte.«
Bill warf ein, dass man in Amerika auf eine Gabel gut verzichten könne, für den Verzehr eines Hamburgers im Sesambrot brauche man nur zwei gesunde Hände. Mark und Laura stimmten in das Gelächter der Gruppe ein.
Eine halbe Stunde später liefen sie am Rio di San Trovaso entlang, der den Canale della Giudecca mit dem Canal Grande verbindet. Sie blieben vor einer leeren Gondel stehen, die an bunten Anlegepfosten festgemacht war und sanft vor sich hin schaukelte.
Laura deutete auf die Gondel. »Der Gondoliere ist wahrscheinlich in einem der Bàcari – so heißen die kleinen Kneipen, die typisch für Venedig sind –, um sich dort bei einem Gläschen Wein zu stärken. Über die Bàcari erzähle ich Ihnen später einiges. Konzentrieren wir uns kurz auf die Gondel. Hier an diesem Kanal ist übrigens eine der letzten Gondelwerften, die es in Venedig noch gibt. Diese Werften werden
squeri
genannt. Die Gondeln sind etwa zehn Meter lang und werden von Hand aus acht oder neun verschiedenen Hölzern gefertigt. Vorne an der Spitze sehen Sie den so genannten Ferro, die sechs eisernen Sporne stehen für die sechs Sestieri von Venedig, der große Sporn darüber symbolisiert den Dogenhut. Achten Sie auf die Form der Gondel. Sie ist links wesentlich stärker gebogen als rechts.«
»Wie eine lackierte Banane«, stellte Bill fest.
Laura ließ sich nicht aus dem Konzept bringen. »Ein bisschen vielleicht, aber doch entschieden schöner. Durch die asymmetrische Form läuft die Gondel trotz des einseitigen Ruderns immer geradeaus und dreht sich nicht im Kreis. Das Ruder wird rechts durch eine raffinierte Riemengabel, die Forcola, geführt.«
»Und warum sind all die verdammten Gondeln schwarz? Das ist ja wie bei unserem guten alten Henry Ford. Dessen T-Modell konnte man auch in jeder beliebigen Farbe haben, vorausgesetzt, sie war schwarz!« Bill freute sich über seinen Vergleich und klatschte vergnügt in die Hände.
»Ich muss bei den Gondeln immer an Beerdigungen denken«, sagte eine ältere Mitreisende.
»Das Schwarz passt sicher gut zum morbiden Charme dieser Stadt, deren glanzvolle Epoche lang zurückliegt und die dem Untergang geweiht scheint«, fuhr Laura in ihren Erläuterungen fort. »Allerdings waren die Gondeln der reichen Venezianer bis ins 16. Jahrhundert bunt bemalt, voller goldener Verzierungen, mit wertvollen Teppichen und Pelzen ausgelegt und mit prunkvollen Baldachinen versehen.«
»Ist den Venezianern dann das Geld ausgegangen?«
»Nein, lieber Bill, ganz im Gegenteil. Weil der Prunk und der Luxus immer aufwändiger ausfielen, nicht nur bei den Gondeln, sondern von der Kleidung angefangen bis hin zu den großen Festen, die in Europa ihresgleichen suchten, wurden in Venedig immer wieder so genannte Luxusgesetze erlassen. Mit ihnen wurde die Zurschaustellung übermäßigen Reichtums verboten. So durften die Frauen in der Öffentlichkeit keinen Schmuck und allzu wertvolle Stoffe tragen.«
»O Gott, wie furchtbar«, entfuhr es einer Dame, die erschrocken an ihre Halskette langte.
»So ein Gesetz wird es bei uns nie geben«, stellte Bill beruhigend fest. »Die Zurschaustellung von Reichtum ist ein amerikanisches Grundrecht!«
»1562 schließlich wurde eine Verordnung erlassen, nach der alle Gondeln einheitlich schwarz zu sein haben. Auch die Verzierungen am Bug und am Heck, die Ferri und Delfini, sie durften nicht mehr vergoldet sein. Nur die beiden kleinen Seepferdchen aus Bronze neben den Bänken sind gestattet. Bei feierlichen Anlässen wie Hochzeiten …«
Mark hatte sich auf eine Mauer gesetzt und hörte Lauras Ausführungen nur mit halbem Ohr zu. Er war mit seinen Gedanken bei Rudolfs Telefonnummer im Speicher von Alessandros Handy. Den ganzen Vormittag hatte er hin und her überlegt, welche vernünftige Erklärung es dafür geben könnte, aber ihm war wenig Überzeugendes eingefallen. Allenfalls, dass Rudolf von Alessandro
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