Verdi hören und sterben: Ein Roman aus Venedig und dem Veneto (German Edition)
er wohl wieder mit dem Fotografieren beginnen. Mit Roberto, seinem Freund aus Belluno, hatte er schon telefoniert. Der war ganz versessen darauf, mit ihm ein Fotobuch über die venezianische Küche und über ausgesuchte Restaurants zu machen. Aber davon würde er nicht leben können. An einer Rückkehr zur Modefotografie kam er nicht vorbei. Welche Haarfarbe Norma wohl mittlerweile hatte?
»Buona sera, du Träumer.« Mark hatte Laura überhaupt nicht kommen sehen.
»Hallo, Laura, lass dich umarmen.«
»Nicht so stürmisch«, protestierte Laura kichernd. »Man könnte ja glauben, wir haben uns seit Wochen nicht mehr gesehen.«
»Stunden der Trennung erscheinen mir wie Wochen«, erwiderte Mark theatralisch.
»Von der schmalzigen Seite kenne ich dich überhaupt nicht. Dir wird dein Übermut gleich vergehen, ich habe was mitgebracht.«
Laura legte eine italienische Tageszeitung auf den Tisch. »Hier, auf Seite fünf, ich hab’s angestrichen.«
Mark schlug die Seite auf. Auf einem Foto sah ihm Alessandro entgegen. Daneben eine große Überschrift: »Assassinio nel bagno di fango!«
»Das gibt’s doch gar nicht. Hat Alessandro jemanden im Fangobad ermordet?«
»Nein, ganz im Gegenteil. Unser Alessandro ist selbst Opfer eines Mordanschlags geworden. Du kannst dir das Lesen und mühevolle Übersetzen sparen, ich erzähl’s dir. Viel steht sowieso nicht drin. Offenbar war Alessandro, jetzt wissen wir übrigens, dass er mit Nachnamen Gherardo hieß, in Abano Terme zur Kur. Gestern Vormittag hat man seine Leiche in einem Fangobecken gefunden. Irgendjemand hat ihm mit einer schweren Terrakotta-Vase den Schädel zertrümmert.«
»Mit einer Terrakotta-Vase?«
»Ja, die ist dabei auch zu Bruch gegangen. Die Einzelteile hat die Polizei aus dem Fango gefischt. Offenbar, so steht es im Artikel, hat sich der Mörder von hinten an Alessandro herangeschlichen, der in einem separaten Raum alleine im Fangobad lag. Die Vase, so eine Art Amphore, stand wohl zur Dekoration neben dem Eingang. Vermutlich hat nur Alessandros Kopf aus dem Schlamm herausgeschaut. Er hatte keine Chance. In dem Artikel heißt es auch, dass Alessandro im Dienste Domenicos stand und dass der Mörder wahrscheinlich aus dem kriminellen Milieu komme.«
Mark schüttelte resignierend den Kopf. »Jetzt war es doch falsch, dass ich nicht zur Polizei gegangen bin. Von Alessandro werden wir jedenfalls nichts mehr erfahren.«
»Nun, allzu gesprächig wird er nicht mehr sein, da hast du Recht. Aber ich wollte dir nicht den Abend verderben, das wäre ausgesprochen schade, ich habe nämlich in der Locanda San Vigilio einen Tisch reserviert.«
»Tatsächlich? Weißt du, dass ich dort mit Grandma gewesen bin, als ich sie das letzte Mal besucht habe?«
»Nein, doch das überrascht mich nicht. Ottilia hat die Punta San Vigilio und die Locanda geliebt. Wir waren auch oft zusammen hier.«
»Aber ich fürchte, ich habe nicht genug Geld dabei.«
»Keine Sorge, heute lade ausnahmsweise ich dich ein, ich habe in der letzten Zeit gut verdient.«
»Die Einladung nehme ich gerne an«, erwiderte er. »Mein Lebensabschnitt als Millionär war leider von ungewöhnlich kurzer Dauer, ich kann eine finanzielle Entlastung gut gebrauchen.«
»Du siehst, ich tue, was ich kann. So, jetzt trink deinen Campari aus, dann können wir rübergehen.«
Einige Minuten später standen sie im Vorraum der Locanda San Vigilio. Mark betrachtete die alten Bilder, die an der Wand hingen. Laura deutete auf einen alten Stich mit einer Karte des Gardasees.
»Wie würdest du die Form des Sees interpretieren?«, fragte sie.
Mark studierte die Landkarte, runzelte die Stirn und sah dann zweifelnd Laura an. »Ich denke, der See gleicht dem Rüssel eines alten Elefanten.«
Laura lachte. »Was wieder einmal beweist, dass wir Frauen viel eindeutigere Fantasien haben. In meinen Augen hat der Gardasee ganz zweifellos eine phallische Form.«
Mark spielte den Empörten. »Und von so jemandem lasse ich mich zum Abendessen einladen. Du gehörst auf die Couch eines Psychoanalytikers. Abgesehen davon, hätte ich einige anatomische Verbesserungsvorschläge …«
Laura kicherte und deutete auf den Spruch, der über der Tür zum Restaurant stand. »Carpe diem! Wir haben heute sicher noch Zeit für weiterführende Übungen. Jetzt sollten wir uns erst mal stärken.«
»Carpe diem? Ich fand schon immer, dass man nicht nur den Tag, sondern auch die Nacht nutzen sollte«, erwiderte Mark und folgte ihr am Büffett mit
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