Verdi hören und sterben: Ein Roman aus Venedig und dem Veneto (German Edition)
seines Frotteemantels.
»Und Grandma Ottilia?«
Rudolf griff zum Champagnerglas und warf es gegen die gekachelte Wand. »Jetzt ist aber Schluss, ich will auch nicht über unsere Großmutter reden.«
Mark stand auf und nahm Rudolf, der sich zuerst wehrte, dann aber nachgab, in den Arm. »Entschuldige, ich bin seit meiner Entführung wohl wirklich nicht mehr richtig im Kopf. Ich wollte dich nicht aufregen. Tut mir Leid. Ich geh jetzt besser und lass dich mit Olga allein.«
Rudolf löste sich von Mark. Zwar war sein Gesicht noch gerötet, aber er schien sich schon wieder beruhigt zu haben. »Schon gut, ich habe sicher gerade etwas überreagiert. Doch das ist wirklich der falsche Ort und der falsche Zeitpunkt, um über Mutter und Großmutter zu reden. Das wirst du doch zugeben? Wir können das Gespräch gerne einmal nachholen.«
»Das muss nicht sein. Vergiss es, ich zieh jetzt Leine. Melde dich mal, wenn du wieder in Italien bist. Ich würde mich über einen Besuch freuen.«
Rudolf wirkte schon wieder ganz locker. »Aber ich komme ohne Vorwarnung, darauf kannst du dich verlassen. Hoffentlich störe ich dich dann bei einem Fick mit Laura.«
»Ich werde dir nicht verraten, zu welcher Tages- oder Nachtzeit die Chance am größten ist«, versuchte Mark die Situation weiter zu entkrampfen.
Rudolf deutete zur Glastür. »Findest du alleine raus?«
»Ja, natürlich, kein Problem, und nichts für ungut.«
»Steig nicht in die Scherben. Und schließ die Haustür, ich will jetzt nicht mehr gestört werden.«
Rudolf zog den Bademantel aus. »Olga, mach die Beine breit, ich komme.«
Mark schlüpft erst auf der Treppe in seine Schuhe. Die Automatiktür zum Hallenbad hatte sich hinter ihm bereits geschlossen. Er war von Rudolfs kurzem, aber heftigem Wutausbruch immer noch wie benommen. Auf dem Weg zur Eingangstür der Villa fiel ihm ein großes Bild auf, das so gegen die Wand gelehnt war, das man nur die Rückseite der Leinwand sehen konnte. Auch aus dieser Perspektive kam ihm der dunkle Holzrahmen bekannt vor. Mark blieb stehen, zögerte kurz, dann drehte er das Bild um. Er hatte sich nicht getäuscht, es handelte sich um ein Ölgemälde seines Vaters, genauer gesagt um das Porträt seiner Mutter, das Rudolf von Grandma Ottilia geerbt hatte. Schon seltsam, gerade waren sie wegen ihrer Mutter aneinander geraten, und jetzt stieß er auf ihr Bild. Noch seltsamer aber war, dass das Gemälde mit dem Gesicht zur Wand am Boden stand. Mark drehte das Bild um, hauchte seiner Mutter über die flache Hand einen Kuss zu und verließ nachdenklich die Villa.
39
V or dem kleinen Hafen schaukelte ein Segelboot in der abendlichen Flaute. Tief stand die Sonne am gegenüberliegenden Ufer über den Hügeln von Manerba und Moniga. Hinter der Mole raschelte es im Schilf. Einige Enten ließen sich durchs Hafenbecken treiben. Von der Ferne waren leise Kirchenglocken zu hören. Mark saß auf der Mole an einem der kleinen Tische und sah entspannt auf den See hinaus. Wie Recht hatte doch seine Großmutter gehabt, für die San Vigilio der bezauberndste und friedvollste Platz am Gardasee war. Südlich von Torri del Benaco, auf der Höhe von Garda, liegt die kleine Landzunge mit der Punta San Vigilio. Den Wagen hatte Mark am Parkplatz abgestellt. Zu Fuß war er durch eine schattige Zypressenallee, am schmiedeeisernen Tor der Villa Brenzoni vorbei, über alte, gefährlich glatte Pflastersteine zu diesem winzigen Hafen gelangt. Er wartete auf Laura, die am Nachmittag eine Reisegruppe in Peschiera betreut hatte. Eine gute Woche schon lag sein Besuch in München zurück, und nichts hatte er in der Zwischenzeit unternommen. Weder hatte er der Polizei von den beiden Bronzefiguren und seinem nächtlichen Abenteuer erzählt, das ihn auf die Spur von Alessandro gebracht hatte, noch war er mit seinen Überlegungen weitergekommen, die Rudolf betrafen. Er hatte wieder einmal eine jener Durchhängephasen, über die sich Norma immer so aufgeregt hatte. Apropos Norma, er sollte seine Agentin in London bei Gelegenheit mal anrufen. Erstens war es sehr uncharmant, so gar nichts mehr von sich hören zu lassen. Er wusste ja, dass Norma immer ein klein wenig in ihn verliebt gewesen war. Und zweitens würde die Zeit des süßen Nichtstuns bald ein Ende haben. Viel war ihm nach der Lösegeldzahlung vom Erbe seiner Großmutter jedenfalls nicht geblieben. Und wenn er die Villa am Gardasee behalten wollte, und das glaubte er seiner Großmutter schuldig zu sein, dann musste
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