Verflixter Kerl
fahren. Ich kann doch nicht schreiben: Ich bleibe zu Hause in Sankt Balkonien! Andere Kinder fahren nach Holland ans Meer oder wandern mit ihren Eltern in der Rhön, und Katja, die neben mir sitzt, fährt mit ihrer Mutter sogar ans Mittelmeer!"
Was sollte er sagen? Matthias löffelte nachdenklich in seinem Eisbecher. Er hatte noch eine kleine Überraschung im Sinn – er hatte sich nämlich für ein mehrwöchiges Schriftsteller-Stipendium beworben, das von der Stadt Wyk auf der Nordseeinsel Föhr in diesem Jahr zum ersten Mal ausgeschrieben wurde. Es gab noch mehrere Mitbewerber, so dass nicht sicher war, dass ausgerechnet er diese Stelle als "Inselschreiber" bekam. Deshalb hatte er Sarah noch nichts davon gesagt, denn wenn sie sich erst einmal darauf freute, war die Enttäuschung hinterher umso größer, wenn es nicht klappte.
Doch mindestens eine Woche musste einfach drin sein. Wenn er die Übersetzung pünktlich ablieferte, war gegen Mitte der Schulferien das Geld da, und sie konnten wirklich ein paar Tage wegfahren. Er hatte immer so wenig Zeit für sein Tochter, da musste er sich ihr wenigstens in den Ferien etwas mehr widmen, sonst ging sie ihm verloren.
"Hm", machte Matthias nachdenklich, "ich hatte mir da schon etwas ausgedacht, aber es sollte eine Überraschung sein. Ich möchte mit dir ein paar Tage ans Meer fahren, was hältst du davon? Höchstens eine Woche. Wir haben ja nicht viel Geld, wie du weißt."
Sarah sprang auf und hätte beinahe ihr Eis umgeworfen, wenn Matthias es nicht geschickt aufgefangen hätte. Sie umarmte ihn stürmisch. "Du bist der Größte, Papi!"
Ihm wurde richtig warm ums Herz. Sie war noch so erfrischend spontan. In ein paar Jahren würde es anders sein – die Kinderzeit war ja so kurz! Es war bedauerlich, dass Sarah ohne ihre Mutter aufwachsen musste.
Sie aß ihr buntes Eis auf und sah ihn von der Seite an, wieder mit diesem Blick, der ihm immer tief ins Herz ging. "Wenn wir zum Auto gehen, nehmen wir dann den Weg durchs Kaufhaus?"
"Außen herum ist es kürzer", entgegnete Matthias schmunzelnd, denn er ahnte schon, was kommen würde.
"Aber wenn wir durch die Ladenetagen gehen, könnten wir in der Kinderabteilung doch schon mal nachsehen, was Badeanzüge in meiner Größe kosten. Mein bisheriger wird mir nämlich zu klein, und in den Ferien wächst man schneller, das weißt du bestimmt auch. Die alte Badekappe, die ich habe, ist auch ganz hässlich geworden."
"Na gut", entschied er schmunzelnd. Diese Anschaffungen mussten sowieso sein, warum also nicht jetzt? Dann konnte Sarah ihre Vorfreude richtig genießen, denn sonst fürchtete sie bestimmt, dass er seine Pläne wieder umwarf, wie er es schon einmal hatte tun müssen. Er winkte der Kellnerin, weil er bezahlen wollte.
Die junge Italienerin kam an den Tisch und kritzelte im Stehen alles auf einen Block. Sie riss das Blatt ab und legte es auf den Tisch. "Sechzehnfünfzig", sagte sie.
"Siebzehn", erwiderte er.
"Wie kannst du nur so viel Trinkgeld geben", zischte seine achtjährige Tochter ihm zu, als die Kellnerin gegangen war. "Wir brauchen das Geld doch jetzt für den Urlaub!"
Matthias lachte und kniff ihr zärtlich in die Wange. Er schob ihr den Zettel hin. "Schau lieber mal nach, ob sie richtig gerechnet hat."
Sarah nahm den Zettel. "Das kann doch kein Mensch lesen!", protestierte sie.
"Eben!", gab Matthias zurück.
Einen Moment starrte Sarah ihn mit großen Augen an. Dann stieg kindlicher Zorn in ihr niedliches Gesicht. Sie boxte ihn scherzhaft vor den Oberarm. "Du musst wohl jede Gelegenheit nutzen, mich zu erziehen, was?" Dann grinste sie und steckte den Zettel ein. "Den nehme ich mit und zeige ihn morgen Frau Wieschermann. Damit kann ich ihr nämlich beweisen, dass man auch noch mit einer schrecklichen Handschrift später eine tolle Arbeit bekommt."
Darauf wusste Matthias Graf nichts mehr zu erwidern. Er nahm schmunzelnd seine Tochter an die Hand.
Eigentlich sollte man nicht mit guter Laune einkaufen gehen, war Matthias Grafs Wahlspruch, besonders dann nicht, wenn man seine Tochter dabei hat. Aber da er sich an diesem Tag nicht an seinen Vorsatz hielt, wurde es teuer. Zum Badeanzug kamen die passenden Badeschlappen, die Badekappe, ein Taucherbrille aus Plastik und natürlich ein leichtes Strandkleid, dessen Anschaffung Sarah selbstbewusst durchsetzte. Ein Ball zum Aufblasen und eine Frisbee-Scheibe durften natürlich auch nicht fehlen. Als Matthias sah, dass seine Tochter ihre Blicke noch weiter über die
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