Verflixtes Wolfsgeheul (Verflixte Bücher) (German Edition)
schrecklichen Fehler einsieht.
Aber viel schlimmer ist noch, dass ich ständig zusammenklappe. Ich lese zum Beispiel gerade einen Bericht aus den täglichen News zu Ende, drehe mich um und mein Blick fällt auf die Halskette von Großvater, die ich auf das Nachtschränkchen gelegt habe. Meine Erinnerung wird sofort wach, ich sehe mich mit Rido über die unsichtbare Grenze schreiten, sehe, wie er mir die Kette zuwirft und ich sie im letzten Augenblick noch fangen kann. Es tut so weh, an ihn zu denken. Nachts wache ich manchmal schweißgebadet auf und habe sein Gesicht vor Augen. Manchmal weine ich auch einfach nur. Ich fühle mich von ihm verraten, der Schmerz sitzt so tief, dass ich am liebsten nicht länger leben möchte.
Auf meine Mutter muss ich zunächst drei Tage lang warten, denn die Tür ist ständig verschlossen. Sie wird nur geöffnet, wenn ich Essen bekomme oder aufs Klo muss. Ich habe die Hoffnung schon aufgegeben, jemals mehr von diesem so genannten Backenzahn zu sehen, da kommt Salei’halas und nimmt mich wie ein kleines Kind bei der Hand.
„Ich werde dir unsere Stadt zeigen“, sagt sie mit einem Lächeln im Gesicht. Es ist das Lächeln, das sie immer trägt, das zur Show gehört und nicht aus ihrem Herzen stammt.
Oder bin ich schon so gemein? Ich bemühe mich, keine voreiligen Schlüsse zu ziehen.
„Drei Tage habe ich darauf gewartet!“ Ich lächle zuckersüß zurück. „Ich freue mich, dass du Zeit für mich hast! Das ist ja so aufregend!“
Habe ich jetzt übertrieben? Meine Mutter sieht mich nur seltsam an. „Ach, sind es wirklich schon drei Tage? Wie die Zeit vergeht!“
„Arbeitest du auch so viel wie Vater? Es ist ja kein Wunder, dass ihr die Zeit vergesst!“
„Nun, ich bin für die Aufteilung der Lebensmittel zuständig. Aber die politische Lage bereitet allen hier Kopfschmerzen, eine Verhandlung jagt die andere, ich habe manchmal kaum Zeit, Mittag zu essen.“
„Darf ich bei der nächsten Sitzung dabei sein? Ich finde das sehr interessant! Später möchte ich auch mal mit Abgeordneten verhandeln, das muss viel Spaß machen.“
„Nein“, sagt sie überrascht. „Meine Verhandlungspartner werden es nicht dulden, wenn ein Kind dabei sitzt.“
Ein Kind! Wie sie das so sagt!
„Oh … wenn ich richtig nachgerechnet habe, bin ich jetzt sogar älter als du.“
Fassungslos sieht mich meine Mutter an.(2) Dann zwingt sie sich zu einem Lachen. „Ha. Ha. Das ist ein guter Scherz, nicht wahr, Kind?“
Ich lache ebenfalls, aber mein Lachen hört sich nicht so gequält an. „Ja, wirklich! Einfach zu komisch!“
Ich sagte ja schon, es ist für mich die reinste Hölle, nicht das zu sagen, was ich denke. Dabei verschweige ich, dass Tora mich zu einer Ratssitzung eingeladen und mir damit großes Vertrauen entgegengebracht hat. Ich weiß, ich darf den Namen nicht nennen, ich muss mich erst bei ihr einschmeicheln und jeden Argwohn zerstreuen. Also schlucke ich die Bemerkung „Kind“ herunter und trotte brav neben ihr her.
„Merk dir den Weg gut!“, sagt sie nach einer Weile. „Bald wirst du allein zur Stadt gehen, ich kann mir nicht immer frei nehmen.“
„Also ist das Zimmer meine neue Heimat?“, frage ich und muss schwer schlucken. „Wow, das ist … wunderbar! Mehr, als ich erhofft habe!“
„Nicht wahr?“ Salei’halas gewinnt ihr wahres Lächeln wieder. „Wenn du erst mal die anderen Zimmer siehst, wirst du wissen, dass wir nur das Beste für dich ausgesucht haben. So, da wären wir! Hier ist einer der Eingänge zur Stadt. Ich werde dir als Erstes deine Schule zeigen.“
Als ich durch das Tor marschiere, bleibe ich am Geländer der Plattform stehen. Eine breite Treppe führt hinab, genau wie weitere Treppen, die ich von meinem Standort aus in einiger Entfernung sehen kann. Sie enden auf einer großen Fläche, auf der die eigentliche „Stadt“ beginnt. Sie ist wie jede andere Stadt mit Geschäften und Büros gepflastert, die sich an großen und kleinen Straßen entlangziehen. Der einzige Unterschied ist der, dass sie viel enger aneinanderliegen, ineinander verschlungen und über viele Ebenen miteinander verbunden sind. Die meisten reichen bis zu einer künstlichen Decke, die zwar den Himmel simuliert, aber wiederum sehr unnatürlich wirkt. Wenn ich mich recht erinnere, hat Rido von einer Höhe von 2238 Metern gesprochen. Sollte es tatsächlich so sein, dass die Gebäude sich so weit hinaufziehen? Ich fasse es einfach nicht! Zwischen den Geschäften fliegen
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