Verflixtes Wolfsgeheul (Verflixte Bücher) (German Edition)
wiederzusehen, den ich sogar meinem Vater vorziehen würde, so tief bin ich verzweifelt. Ich könnte ihm alles erklären, könnte ihm sagen, dass Rido mich gezwungen hätte – aber dann würde ich meinen großen Freund verraten. Sicher, Rido hat auch mich hintergangen, indem er mir den Kristall vorenthalten hat, aber inzwischen hat er auch alles wieder gut gemacht. Schließlich haben wir die Regierung bezwungen und ich weiß genau, dass mir das nicht ohne seine Hilfe gelungen wäre. Nein, jetzt, da sich alles zum Guten gewendet hat, verzeihe ich Rido. Vielleicht hat er wirklich nicht anders gekonnt. Vielleicht ist es ja so, wie er es mir beteuert hat.
Und so stehe ich wie eine Pik Sieben vor Mali’tora und bekomme keinen vernünftigen Satz heraus.(1)
„Du hast Benar schamlos ausgenutzt!“, sagt Mali’tora gefährlich leise. Er sieht mich dabei an wie damals, als er mich das erste Mal bei den Schlangenkämpfern abgeholt hat. Seine Augen sind dunkel und undurchdringlich. „Wenn du mir etwas zu sagen hast, dann tu es jetzt!“
Kennst du den dicken Kloß, der dir plötzlich den Hals versperrt? Der auf Tischtennisballgröße heranwächst und dich dazu bringt, auch noch zu weinen? Ich habe alle Mühe, die Tränen zurückzuhalten, das meistere ich gerade eben so. Aber sprechen kann ich keine Silbe.
„Dann solltest du mir aus dem Weg gehen.“
In Mali’toras Worten liegt bittere Enttäuschung, sie sticht mir noch einmal wie spitze Nadeln tief in mein Herz. Langsam dreht er sich um und geht auf sein Zelt zu.
Ich schlucke kräftig.
„Ich … ich hab den echten Kristall geholt“, krächze ich.
Mali’tora blickt sich nicht einmal richtig um. „Den brauchen wir nicht mehr.“
Er geht weiter. Aus einem der Zelte schaut ein Junge. Es ist Benar, aber auch er macht keine Anstalten, mich zu begrüßen. Der Kloß wächst beharrlich weiter.
„Wie … wie es geht Mari?“ Die Frage brennt tief in mir. Ich hätte zu gern gewusst, ob Mari ihre Krankheit überwunden hat.
Mali’tora dreht sich nun halb zu mir um. „Die Python-Kämpfer haben sie … und alle anderen“, sagt er mit brüchiger Stimme. In seinen Augen schwimmt Angst, sie nie mehr wiederzusehen, aber es ist sicher nur ein Körnchen von dem, was in seinem Herzen schwimmt.
Als der Kloß in meinem Hals jegliche Art der Konversation verhindert – ich also nichts sagen kann –, geht er mit gesenktem Haupt zurück in sein Zelt. Auch Benar verschwindet wieder.
Das hab ich dann wohl kräftig vermasselt.
Ich drehe mich um, remple Rido an, den ich durch den Tränenschleier nicht gesehen habe, und verlasse die Lichtung. Kaum habe ich den Wald erreicht, renne ich so schnell ich kann. Mir laufen die Tränen literweise aus den Augen und ich lache kurz auf. „Tränen sind Verschwendung“ , hat Rido mal zu mir gesagt. Ja, vermutlich ist mein ganzes Leben eine Verschwendung, was machen denn da schon ein paar Tränen?
Wie blind laufe ich durch den Wald, stolpere über Wurzeln und klettere Felsen hinauf. Meine Arme sind von Dornenranken aufgerissen, aber ich halte nicht an. Ich will so weit wie möglich fort, will mit niemandem sprechen. Alles kommt mir so sinnlos vor und das, was ich bisher erreicht habe, schrumpft zu einem Nichts zusammen. Wo kann ich noch hin? Meine Eltern habe ich verlassen, das Tal ist von meinen Feinden besetzt und zur Erde werde ich ohne Mali’toras Hilfe auch nicht kommen. Motte und Yannik werden vergebens auf mich warten.
Vielleicht kann ich mich als Botengänger oder Toilettenreiniger durchbeißen, aber wenn ich daran denke, muss ich mich schütteln. Hätte ich Mali’tora nicht wenigstens sagen können, wie ich aus seinem Tal geflohen bin? Vielleicht hätte sich dann alles noch zum Guten gewendet …
Nein. Ich hatte meine Chance und ich will Rido nicht verraten. Er ist mein Freund, der einzige, den ich wahrscheinlich noch habe. Ich fühle mich ihm verbunden, weil ich an seinem Schicksal nicht ganz unschuldig bin. Durch das Herz habe ich ihm mehr Leid zugefügt, als ich es mir vorgestellt habe, und er hat mir mehrmals versichert, dass es ihm schadet. Außerdem habe ich ihn als ersten Hüter des Friedenskristalls beiseite geschoben. Er kann seine Aufgabe nicht erfüllen, weil ich meinem kleinen Freund zu intensiv vertraut habe.
Ich ziehe den Kristall aus der Tasche und betrachte ihn. Er glänzt in einem tiefen Blau, die Farbe des Himmels, in dem sich die Berge spiegeln. Sogar jetzt muss ich an Mali’toras Tal denken, an die Zeit,
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