Verflixtes Wolfsgeheul (Verflixte Bücher) (German Edition)
lächle kurz. „Jetzt hast du’s endlich kapiert! Es gibt immer Dinge, die wichtiger sind. Nur solltest du bedenken, dass mein Ziel nicht auch deines sein muss.“
Rido reicht mir die Hand, damit ich den Felsen leichter hinaufklettern kann. „Mein Ziel liegt deinem ziemlich nah.“
Wir kraxeln die nächsten Stunden schweigend den Berg hinauf. Klettertouren habe ich früher auf der Erde häufig mitgemacht, aber das hier ist etwas ganz anderes. Wir haben keinen Führer, das richtige Schuhwerk fehlt, es ist kalt und windig und ich habe ziemlichen Hunger. Rido merkt von alldem nichts, doch er wartet geduldig, bis ich ihn eingeholt habe.
Damit ich nicht auf die Idee komme, aufzugeben, lege ich mir auch wieder meinen Spruch im Kopf zurecht, den ich mir unentwegt aufsage: Ich kämpfe für den Frieden, ich kämpfe für den Frieden! Leider tauchen ständig Gesichter vor mir auf, die mich zweifeln lassen: Mali’tora, Benar, meine Mutter und zuletzt mein Vater. Warum habe ich nur das Gefühl, alles falsch gemacht zu haben?
Natürlich habe ich mich mit dem Weg total verschätzt. Man braucht mehr als nur Mut und ein Ziel vor Augen, um einen solchen Berg zu bezwingen. Am späten Nachmittag bin ich völlig am Ende und als die Nacht hereinbricht, sinke ich erschöpft auf den Felsen. Dabei haben wir noch nicht einmal die Hälfte auf dieser Seite geschafft! Wir müssen noch die Schneegrenze passieren und jenseits des Gipfels wieder hinabsteigen.
In der Nacht falle ich in eine Art Trance. Als ich daraus erwache, bin ich überrascht, wie hoch wir gestern geklettert sind. Ich sehe Rido forschend an, doch sein Gesicht bleibt unbeweglich wie eh und je. Habe ich mich getäuscht? Träume ich schon, wir kämen nicht von der Stelle?
Gegen Mittag erreichen wir den ersten Schnee. In meinem dünnen Overall friere ich erbärmlich und obwohl ich die ganze Zeit in Bewegung bleibe und schwitze, reicht es nicht aus, meine Finger und Füße warm zu halten. Schon bald spüre ich meine Zehen nicht mehr, ich stolpere mehr, als dass ich vorwärts komme. Rido legt mir seine Jacke über die Schultern, doch sie ist so schwer, dass ich unter ihr zusammenbreche.
„Ich muss aufgeben!“, flüstere ich, als ich wieder einmal im Schnee liege. Meine Lippen sind blutig, die Nase ein einziger Eisklotz und meine Finger kann ich schon lange nicht mehr bewegen.
„Es ist noch ein guter Tages-Fußmarsch. Du könntest es schaffen.“
„Nein, kann ich nicht.“
„Nimm den Friedenskristall! Er wird dir Wärme geben.“
„Er gibt mir doch nur die Illusion, es warm zu haben, stimmt’s?“
Rido sagt nichts, aber ich weiß, dass ich Recht habe. Auch wenn ich mein Ziel gern erreichen würde, hier an dieser Stelle muss ich zugeben, dass ich restlos erledigt bin. Ich habe keine Kraft mehr, ich fühle mich müde, so unendlich müde.
„Du gehst zurück!“, flüstere ich. „Es ist besser so.“ Und dann sinke ich hinab in diesen schlaflosen Zustand, bei dem mein Körper streikt. Nur mein Geist bleibt wach, nimmt verschwommen Schatten wahr, gaukelt mir vor, zu schlafen.
Ich träume von einem Schneesturm, in dem ich umherwanke, von steilen Hängen, die eisverkrustet und aalglatt vor mir auftauchen, von einer Nacht, in der ich dem Himmel viel näher bin, die aber so bitterkalt ist, dass alles in mir friert. Der Wind peitscht mir vereiste Schneekügelchen ins Gesicht, die auf der Haut wie ein Feuerwerk explodieren. Ich habe nur eines im Kopf: Wärme! Verzweifelt versuche ich in diesen Gedanken, fortzukommen. Ich möchte laufen, aber irgendetwas hält mich fest.
Zwischendurch wache ich auf – und tatsächlich schwanke ich durch die Nacht. Rido trägt mich auf dem Rücken, mit seiner Jacke und dem Hosengürtel hat er mich an seinem Körper festgebunden, damit er die Hände frei zum Klettern hat. Eine riesige Wand taucht vor mir auf, das Eis glänzt in der Nacht und schimmert wie Millionen Kristalle.
„Lass mich runter, Rido!“, nuschele ich, aber der Hüne läuft einfach weiter. Mein Kopf sinkt zurück auf seine Schulter und ich falle wieder in diesen Traum, ohne zu schlafen, ich fühle den Schneesturm in der Nacht und habe das Gefühl, in diesem Albtraum an meinen eigenen Gefühlen zu ersticken …
Auch als ich schon längst wieder bei klarem Verstand bin und die Morgendämmerung über die Gipfel hereinbricht, stapft Rido weiter. Ich komme mir schrecklich kindisch vor, ja, fast wie ein Baby, das noch getragen werden muss. Aber leider muss ich auch zugeben,
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