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Verfolgt

Verfolgt

Titel: Verfolgt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ally Kennen
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zu finden. Der Wald lichtet sich, vor mir liegt eine große freie Fläche. Ich betrete so was wie eine grüne Straße mitten im Wald, breit wie eine Autobahn. |46| Die Schneise verliert sich in der Ferne. In der Mitte reiht sich ein Strommast an den anderen. Als ich mich umdrehe, erkenne ich in der entgegengesetzten Richtung einen Schornstein. Juhu! Ein Haus! Die Zivilisation! Ich gehe unter den summenden Stromleitungen entlang auf den Schornstein zu. Als es ein Stück bergab geht und ich den Schornstein aus den Augen verliere, kommt die Angst wieder, aber ich kann mich ja an den Masten orientieren. Außerdem taucht der Schornstein bald wieder auf.
    Der Schornstein ist aus roten Ziegeln gemauert und riesengroß. Solche Brummer qualmen sonst auf Fabrikdächern. Im Näherkommen erkenne ich noch mehr Schornsteine und die schwarzen Spitzdächer eines riesigen Gebäudes mitten im Wald. Die Bäume stehen jetzt weiter auseinander und die Stromleitungen führen mich an einen hohen Zaun. Ich drücke die Nase an das kalte Metallgeflecht. Vor mir steht eine große Villa mit Schornsteinen, Treppen, Nebengebäuden und einem Uhrturm. Im Erdgeschoss sind alle Fenster mit Brettern verrammelt, der Putz ist in großen Brocken von den Mauern gefallen. Vom Dach hängen Efeuranken, die Wände haben zum Teil breite Risse. Das Ganze sieht aus, als wäre es unbewohnt, und zwar schon länger. Ich gehe am Zaun entlang und halte nach einem Tor oder Durchschlupf Ausschau. Als ich ein Loch im Maschendraht entdecke, zwänge ich mich hindurch. Devlins Kapuzenjacke bleibt an einem Drahtende hängen und kriegt einen Riss. Ich stapfe durchs hohe Gras, über Brombeerranken und Baumwurzeln und komme an |47| einem lebensgroßen, von Schmutz und Efeu halb verdeckten Standbild vorbei. Es stellt eine Frau in einem bodenlangen Kleid dar, mit nach oben gewandten Händen, als wollte sie etwas erklären. Ihre Nase ist abgefallen. Der Anblick macht mich unerklärlicherweise traurig. Aber ich bin nicht hier, um irgendwelche Denkmäler zu besichtigen. Ich will nach Hause. Aus der Nähe sieht das Gebäude noch baufälliger aus. Die Wände sind mit Graffiti beschmiert, im Gras liegen lauter zerbrochene Dachschindeln. Trotzdem wirkt die Villa immer noch eindrucksvoll, früher muss sie prächtig ausgesehen haben. Vielleicht war hier ja mal ein großes Internat oder so was. Wieso hat noch kein Investor das Objekt entdeckt und in Eigentumswohnungen umgewandelt? Das wäre eine echte Goldgrube. Von den oberen Stockwerken aus hat man bestimmt einen tollen Blick und hier zu wohnen wäre echt was Besonderes.
    Hinter Bäumen verborgen steht eine kleine Kirche. Auch hier sind die Fenster verrammelt, die Tür ist verriegelt. Dahinter kann ich vereinzelte Grabsteine erkennen. Ich glaube nicht, dass hier in letzter Zeit noch Gottesdienste abgehalten wurden.
    Ich werfe wieder einen Blick auf mein Handy. Kein Empfang. Muss daran liegen, dass es hier oben keine Sendemasten gibt. Oder die Bäume und Strommasten stören den Empfang, keine Ahnung. Ich bin keine Physikerin. Mir knurrt der Magen, aber dann fällt mir wieder ein, wie breit meine Oberschenkel auf dem Autositz ausgesehen haben. Ein bisschen Hungern kann nicht schaden. |48| Nächsten Monat geht das College los und ich will da nicht als Schweinchen Dick aufkreuzen.
    Links von der Kirche steht ein niedriger Schuppen mit Schieferdach. Die Brennnesseln reichen fast bis zur Dachkante. Dahinter steht ein Gebäude, das eher wie ein kleineres Wohnhaus wirkt, bloß dass alle Fensterscheiben kaputt sind und die Tür mit einer Holzplatte vernagelt ist. Aus dem Schornstein wächst ein Baum mit roten Blüten. Eine Taube pickt auf dem Dach herum, hinter den Brennnesseln blinkt etwas in der Sonne. Es blendet mich fast. Ein Spiegel lehnt an der Hauswand. Ich gehe hin und will mich kurz vergewissern, dass ich okay aussehe, aber ich kriege den Schreck meines Lebens. In meinem zerzausten Haar hängen Zweige und Rindenstücke, es sieht aus, als hätte ich es toupiert. Mein Gesicht ist blass und verschmiert, das ganze Make-up ist runter und ich sehe wie eine Zwölfjährige aus. Ich drücke mein Haar an den Kopf und versuche mir den ärgsten Dreck mit dem angespuckten Zeigefinger aus dem Gesicht zu wischen. Ich bilde mir ein, dass ich ein bisschen Erfolg damit habe. Zwar ist hier wahrscheinlich niemand, aber ich will trotzdem nicht furchtbar aussehen. Ich bin immer noch mit meinem Gesicht beschäftigt, da sehe ich im Spiegel, wie sich in einem

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