Verfuehrerisch doch unerreichbar
legte sie an Mikhails Wange. Sofort begannen ihre Fingerspitzen zu prickeln.
Mikhail umfasste ihr Handgelenk und nahm ihre Hand fort. „Ich werde eine Liste von den Orten verlangen, in denen du in den letzten sechs Monaten gelebt hast.”
Schon dreht es sich wieder ums Geschäft, dachte sie. „Verstehe. Du willst sichergehen, dass meine Geschichte wahr ist.”
„Selbstverständlich.” Er stand abrupt auf, nickte kurz und verließ den Raum.
Im grauen Licht des frühen Morgens dachte Mikhail an die Frau, die im Haus seiner Eltern schlief.
Er hatte Ellie begehrt. Diese Vorstellung schockierte ihn. Schließlich war sie verwöhnt und benutzte Menschen - sie hatte ja selbst zugegeben, dass sie heiraten wollte, um das Kind zu bekommen. Dennoch konnte er die offenkundige Zuneigung zwischen Ellie und Tanya nicht leugnen, ebenso wenig Ellies liebevollen Umgang mit dem Kind.
Die Gedanken an Ellie ließen ihn nicht los. Er atmete die salzhaltige Luft ein und sah in den Nebel entlang der Küste. Hier war er aufgewachsen, hier hatte er mit Jarek nach Muscheln gesucht, Krabben gefischt und sie verkauft.
Abgesehen von den wenigen Arbeitern, die Stepanov-Möbel herstellten, hatte es damals kaum Arbeitsplätze in der kleinen Gemeinde am Meer gegeben. Doch jetzt brachte das
„Amoteh Resort” Touristen und Arbeit. Trinny, eine unerschrockene, große Frau mit einer Horde Kinder, malte schon jetzt das Erbeer-Logo auf Becher für das Hotel und den Andenkenladen. Im Sommer würden die Geschäfte am Pier voller Touristen sein, die Souvenirs kauften. Die Luft würde nach Meer und Muschelsuppe riechen, und die Urlauberfamilien würden sich unter die Einheimischen mischen.
Ed und Bliss, Jareks Schwiegereltern, würden ihre selbst gefärbten TShirts verkaufen.
Und im Sommer würde Leigh, Jareks Frau, ihr Baby herumzeigen, das im März geboren werden sollte. Jarek ließ sie nicht mehr aus den Augen. Laut Mikhails und Jareks Mutter verwöhnten die Stepanov-Männer ihre Frauen über die Maßen.
Mikhail würde nie erfahren, wie es wäre, eine schwangere Frau zu verwöhnen und sich um sie zu kümmern. Er kämpfte gegen die Bitterkeit darüber an, dass sein Kind nicht die Chance gehabt hatte, zur Welt zu kommen. Er fragte sich, wann diese Leere in ihm verschwinden würde. Das Bedürfnis, Kinder zu haben und ein eigenes Heim, steckte tief in den Männern seiner Familie, und für Mikhail war das Hotel eine Art Ersatz für alles, was er in seinem Leben schmerzlich vermisste.
Er schlug den Kragen seines Mantels gegen die feuchte Kälte hoch. Er hatte, was er wollte
- Erfolg mit seinem Hotel. Wenn er Ellie und Tanya Unterschlupf gewährte, konnte er alles verlieren, wofür er gearbeitet hatte. Er würde das Hotel und die Menschen, die er liebte, gefährden.
Die Planken knarrten unter seinen Füßen. Ein Eiszapfen löste sich, fiel herunter und zersprang auf dem Schnee, der rasch tauen würde, wenn der Tag so warm werden würde wie vorhergesagt.
Ein Mann, ebenso so groß und kräftig wie Mikhail, tauchte aus dem Nebel auf.
„Jarek.”
Die beiden Männer standen nebeneinander und beobachteten die Möwen, die am Ufer nach Nahrung suchten.
„Das Abendessen bei den Eltern war gut gestern Abend”, meinte Jarek.
„Hm.” Mikhail war klar, dass sein jüngerer Bruder auf Ellie zu sprechen kommen wollte.
„Boeuf Stroganoff, und später diese kleinen Ingwerplätzchen mit Himbeermarmelade, die Dad so mag. Anscheinend backen Tanya und Mom beide gern. Ellie war zu still. Bei jedem Geräusch sah sie zur Tür, als erwarte sie das einzige fehlende Familienmitglied - dich. Sie ist erschöpft und verängstigt, als lägen ihre Nerven schon lange bloß. Vor dem kleinen Mädchen lässt sie sich allerdings nichts anmerken. Ihrer Kleidung und ihrem Wagen nach zu urteilen hat sie eine Pechsträhne. Da fragt man sich, weshalb sie hier ist, oder nicht?”
Mikhail seufzte. Seine Familie wollte wissen, wieso er sein Lieblingsessen verpasst hatte, und Jarek war sozusagen ihr Abgesandter.
„Sie ist eine Katastrophe, und zwar seit ich ihr vor fast elf Jahren in Pauls Büro in Seattle zum ersten Mal begegnet bin. Vor etwa fünf Jahren vermasselte sie ein wichtiges Geschäft für
„Mignon International”. Es ging um ein teures Stück Land für ein Hotel in der Nähe von Cannes. Der Vertrag wurde mehrmals verhandelt. Ellie kannte Pauls Pläne, nur einen Teil des Landes zu bebauen, weil er den Rest aufteilen und die Einzelgrundstücke zu erstklassigen
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