Verführerische Maskerade
ihre Mutter und goss den Tee in zwei Tassen aus zartem Sèvres-Porzellan. »Außerdem würdest du Miss Ada und Miss Mavis kränken, wenn du das Frühstück verschmähst, das die beiden extra für dich vorbereitet haben. Und das willst du doch nicht, oder? Du weißt doch, dass sie deinen Haferbrei jedes Mal mit Honig verfeinern.«
Franny blickte zwar immer noch misstrauisch drein, verschwand aber ohne größeren Protest, als ihr Kindermädchen ein paar Minuten später auftauchte.
»Gott weiß, wie sehr ich dieses Kind liebe. Aber manchmal treibt es mich an den Rand der Erschöpfung«, erklärte Aurelia und schloss die Tür, nachdem die zwei das Zimmer verlassen hatten. »Sie plappert dreimal mehr als Susannah und Stevie zusammen.« Versunken lächelnd dachte sie darüber nach, wie sehr sich die Kinder ihrer Freundin Nell von ihrer eigenen Tochter unterschieden, die als kleine Plaudertasche so oft ihre Nerven strapazierte. Mit der Teetasse in der Hand setzte sie sich auf die Bettkante. »Erzähl mal, was hast du inzwischen angestellt?«
»Nichts Besonderes«, meinte Livia und tunkte eine Makrone in den Tee. »Gestern Abend hatte ich allerdings eine ungewöhnliche Begegnung … aber zuerst muss ich wissen, wie es Nell und Harry und den Kindern geht. Seit Nell aus Schottland abgereist ist, um nach Hause zu fahren, habe ich nichts mehr von ihr gehört. Ich möchte ganz genau wissen, wie es Harry gelungen ist, den Grafen um den kleinen Finger zu wickeln. Denn ich war felsenfest überzeugt, dass den alten Mann der Schlag trifft, wenn er erfährt, dass sie die Flucht ergriffen hat.«
»Zuerst sah auch alles danach aus«, bestätigte Aurelia, »aber schließlich haben sie ihn vor vollendete Tatsachen gestellt. Was blieb ihm übrig, als die Tatsachen zu akzeptieren?«
Seit der Schlacht am Trafalgar Square waren Aurelia und ihre Schwägerin Cornelia Dagenham verwitwet. Cornelias Schwiegervater, Graf Markby, hatte als Oberhaupt der Familie die Erbschaft der Kinder verwaltet. Dann hatte Cornelia sich in den Viscount Harry Bonham verliebt und war vor einem halben Jahr mit ihm durchgebrannt. Man hatte allgemein erwartet, dass der Graf sie seinen Zorn spüren lassen würde.
»Der alte Mann hätte die Tatsachen nicht so gnädig hinnehmen müssen.« Livia lehnte sich seitwärts und stellte die Tasse aufs Bett.
»Stimmt. Aber Harry hat eine Art an sich … möchtest du noch Tee?«
»Ja, bitte, noch einen Tee … ich weiß, was du meinst. Er strahlt eine Art aus, die jeden in den Bann schlägt. Es ist, als ob er ein unsichtbares Netz auswirft«, fügte Livia lachend hinzu. »Schließlich hat Nell ihm auch nicht widerstehen können. Obwohl sie es nach Kräften versucht hat.«
»Allerdings, das hat sie.« Aurelia lachte ebenfalls und reichte ihrer Freundin die volle Tasse. »Aber jetzt platzt sie beinahe vor Glück«, seufzte sie, »wie ich sie beneide. Natürlich ist es nicht in Ordnung, dass ich sie um ihr Glück beneide, aber was soll ich machen?«
»Du kannst nichts dafür.« Beschwichtigend streckte Liv die Hand nach ihrer Freundin aus. »Und irgendwo da draußen wird es auch für dich einen Harry geben. Ganz bestimmt, Ellie.« Sanft drückte sie Aurelia die Hand.
Aurelia zuckte die Schultern und hatte ihr Lächeln bereits wiedergefunden. »Kann sein«, meinte sie, »aber jetzt will ich wissen, was es mit dieser besonderen Begegnung von gestern Abend auf sich hat.«
»Kaum zu glauben, es war ein russischer Prinz«, erklärte Livia und setzte sich noch ein Stück höher in ihren Kissen auf. Ihre grauen Augen funkelten vor Vergnügen.
»Ein attraktiver russischer Prinz?«, drängte Aurelia. Das belustigte Funkeln in ihrem Blick hatte den Trübsinn längst verscheucht.
»Sehr attraktiv. Und seine Art scheint irgendwie auch unbezwingbar zu sein. Er hat Bellingham in einen Brunnen gestoßen.« Sie schaute zu, wie Aurelia sich vor Lachen den Bauch halten musste. Wenige Minuten später hatte sie ihr in allen Einzelheiten berichtet, wie der steifbeinige Lord Bellingham im Brunnen der Claringtons baden gegangen war.
»Erzähl weiter«, verlangte Aurelia, und Livia gehorchte.
»Wirklich faszinierend«, kommentierte Aurelia, nachdem ihre Freundin den Bericht beendet hatte. »Ich kann es kaum erwarten, ihn kennen zu lernen. Klingt so, als hätte er ernste Absichten, uns zu besuchen.«
»Das war jedenfalls der Eindruck, den er bei mir hinterlassen hat«, bestätigte Livia, schlug die Bettdecke beiseite und schwang die Füße auf
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