Verführerische Maskerade
auf.«
»Keineswegs«, leugnete Alex, erhob sich aber zusammen mit seinen Gästen. Es stimmte tatsächlich, dass ihm nichts so lästig war wie sein gegenwärtiger Besuch. Denn schließlich lagen noch mehrere Stunden Arbeit vor ihm, und er konnte es kaum erwarten, endlich anzufangen.
Er begleitete seine Gäste zur Tür und kehrte in den Salon zurück, wo Boris die Gläser einsammelte. »Heizen Sie das Feuer an, und lassen Sie den Cognac stehen«, befahl Alex auf dem Weg zum Sekretär. »Dann dürfen Sie das Haus abschließen und sich zurückziehen.«
»Wie Sie wünschen, Prinz Prokov.«
Alex schnappte sich ein Blatt Papier, griff nach seiner Feder und spitzte sie. Nachdenklich runzelte er die Stirn. Seinem Besuch war nicht bewusst, dass er sich auf Bitten des Zaren in London aufhielt; zum Wohle Russlands sollte er Augen und Ohren aufsperren, ohne dass jemand den geringsten Verdacht schöpfte. Der Zar beabsichtigte, in den nächsten Wochen seinen Botschafter aus London abzuberufen. Und wenn die diplomatischen Beziehungen erst einmal offiziell abgebrochen waren, brauchte er jemanden, der ihn über das politische und diplomatische Geschehen in England informierte. Alex war in die Rolle des sorglosen aristokratischen Emigranten geschlüpft, der sich nicht für Politik, sondern lediglich für die glitzernden Vergnügungen in den Ballsälen und Salons der Londoner Gesellschaft interessierte. Er hatte sich perfekt in Stellung gebracht, um nach den Wünschen des Zaren als Geheimagent zu agieren, und ihm blieben nur wenige Wochen, um sich in den richtigen Kreisen zu etablieren.
Aber es steckte noch ein Trumpf in seinem Ärmel - der Zutritt zu der Geheimorganisation russischer Anarchisten, die in London gegründet worden war. An den Informationen, die er von diesen Männern erhielt, hegte der Zar ebenfalls das lebhafteste Interesse.
Alex begann zu schreiben.
2
T ante Liv … Tante Liv! Wach auf, wir sind wieder da!« Das aufgeregte Kind weckte Livia mit seinen Rufen aus einem tiefen, traumlosen Schlaf, und mit seinen kleinen Fingern trommelte es unaufhörlich auf ihre Wange.
»Franny, Darling, du sollst Tante Liv nicht stören«, bat Aurelia Farnham leise. »Liv, es tut mir leid, ich habe nicht bemerkt, dass sie in dein Zimmer gestürmt ist.«
Livia öffnete die Augen und lächelte. Sie stützte sich auf den Ellbogen und strich sich das dunkle Haar aus der Stirn. »Ellie, du bist zurück«, seufzte sie erfreut. »Franny, meine Liebe, ich bin jetzt wach, du kannst aufhören, meine Wange zu kitzeln. Komm aufs Bett.« Einladend klopfte sie auf die Decke.
»Tante Liv, wir haben eine lange, lange Reise hinter uns. Tausend und noch mal tausend Meilen von Schottland zu Großvater nach Hause, und Susannah war übel und sie hat sich über Linton und Stevie …«, plapperte das kleine Mädchen atemlos, während es auf das Bett krabbelte.
»Ich bin froh, dass ich nicht in der Kutsche saß«, meinte Livia und lächelte Aurelia verschmitzt an. »Obwohl ich Nell und Harry sehr gern in Schottland besucht hätte. Leider hat mein Vater nach mir verlangt. Wo stecken die beiden jetzt? Immer noch in Ringwood, oder sind sie mit dir nach London zurückgekehrt?«
»Nein, sie sind noch in Hampshire, auf Dagenham Manor. Harry hat Markby um den kleinen Finger gewickelt … es grenzt an ein Wunder. Du würdest kaum deinen Augen trauen.«
»Vermutlich nicht«, stimmte Livia zu und richtete sich in den Kissen auf. Nell war in erster Ehe schon einmal verheiratet gewesen; Graf Markby, ein allseits gefürchteter Gentleman, war der Vater ihres ersten Ehemannes, der im Krieg gefallen war. »Dann hat er sich mit Nells Eheschließung abgefunden?«
»Scheint so«, meinte Aurelia. Es klopfte leise an der Tür, und sie öffnete. »Ah, der Tee. Vielen Dank, Hester.« Sie öffnete die Tür weiter, damit das junge Dienstmädchen mit dem schweren Tablett eintreten konnte.
Hester stellte das Tablett auf die Kommode und deutete einen Knicks an. »Soll ich einschenken, Ma’am?«
»Nein, ich kümmere mich selbst darum.« Aurelia griff nach der silbernen Teekanne. »Bitte richten Sie Daisy aus, dass sie heraufkommen und Franny zum Frühstück abholen soll.«
»Ja, Ma’am.«
»Vielen Dank, Hester.« Livia lächelte, das Mädchen knickste noch einmal und eilte aus dem Zimmer.
»Will kein Frühstück«, verkündete Franny schmollend, »will bei euch bleiben.«
»Vor zehn Minuten hast du noch behauptet, dass du kurz vor dem Hungertod stehst«, widersprach
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