Verführt im Harem des Scheichs
sie gerade verrichtet hatte, nicht zu seinen täglichen Aufgaben.
Er erwiderte ihren Blick. Und ihr wurde bewusst, dass sie allein mit ihm war. Erneut erfasste sie ein prickelnder Schauer. Plötzlich fühlte sie sich schwach und hilflos. Verflixt, das war ein Gefühl, das ihr gar nicht gefiel!
Sie straffte die Schultern und fragte: „Wer sind Sie?“
„Scheich Ramiz al-Muhana.“ Die Andeutung eines Lächelns huschte über sein Gesicht, als er sich vor ihr verbeugte. Sein Gesicht wirkte mit einem Mal weicher, und seine Augen schienen ihre Farbe zu wechseln, ein wenig heller zu werden.
Wieder musste Celia an die ägyptischen Pharaonen denken. „Scheich Ramiz …“, murmelte sie. Und dann begriff sie: „Sie sind der Fürst von A’Qadiz?“
Er nickte.
„Wir waren unterwegs nach Balyrma, um Sie dort zu treffen. Lord Clevenden, mein Gatte, sollte …“ Sie musste sich unterbrechen, um tief Luft zu holen. Jetzt packte die Trauer sie mit unerwarteter Macht. Aber sie musste stark sein! Sie musste Haltung bewahren! Auf gar keinen Fall würde sie jetzt weinen! „Ich verstehe nicht … Warum sind Sie hier? Und was ist heute Morgen geschehen? Wer waren die Männer, die uns angegriffen haben? Warum wollten sie uns töten?“
Ihre Stimme war mit jeder Frage lauter geworden. Noch immer war ihr Gesicht sehr blass. Ihre Augen waren dunkel vor Furcht. Aber sie war entschlossen, sich ihre Angst nicht anmerken zu lassen.
Diese Engländerin zeigt einen erstaunlichen Mut, ganz anders als der Feigling, mit dem sie verheiratet war, dachte Ramiz.
„Später“, meinte er ruhig, „werde ich Ihnen alles erklären. Doch jetzt sollten wir Abschied nehmen und so bald wie möglich aufbrechen.“
„Abschied nehmen?“, echote sie, und ihre Lippen begannen zu beben. Dann aber biss sie die Zähne zusammen und richtete den Blick fest auf ihn.
Ihre Augen waren grün, grün wie das Moos in ihrer Heimat oder wie ungeschliffene Jade.
Er griff nach ihrem Arm und führte sie zu den Gräbern.
Es waren zwei. Allerdings gab es ein Stück entfernt zwei weitere, wie Celia bemerkte. Offenbar hatte Scheich Ramiz hart gearbeitet, während sie nach ihrer Ohnmacht in einen tiefen Schlaf gefallen war. Eine Woge der Dankbarkeit überflutete sie, als sie ihm unter halb geschlossenen Lidern hervor einen kurzen Blick zuwarf.
Er sah sehr ernst und traurig aus.
Auch Celia empfand nun eine tiefe Traurigkeit. Armer George. Gewiss durfte sie an seinem Grab weinen. Tränen traten ihr in die Augen, rannen ihr über die Wangen. „Es tut mir so leid“, flüsterte sie.
Sie hätten niemals heiraten sollen. George hatte sich vermutlich nie wirklich eine Ehefrau gewünscht. Und sie selbst erwartete von ihrem Gatten mehr, als George ihr hatte geben können. Vielleicht war es trotz allem gut, dass sie nicht wie Mann und Frau zusammengelebt hatten. Denn wie hätte sie dann nach drei Monaten Ehe und nach den Intimitäten gemeinsam verbrachter Nächte den Verlust ihres Gemahl ertragen sollen?
Hin und her gerissen zwischen den unterschiedlichsten Gefühlen, schloss Celia die Augen. Tief bewegt sprach sie ein Gebet für George, den sie – wie sie jetzt wusste – niemals wirklich hätte lieben können. „Es tut mir so leid …“, murmelte sie noch einmal.
„Er hat seinen Frieden gefunden“, sagte Ramiz ruhig. „Er ist bei seinem Gott. Ebenso wie Bakri, der mein treuer Diener war und der vor mir schon meinem Bruder und meinem Vater gedient hat.“
Celia wusste, dass sie sich ihrem Schmerz und ihrer Verwirrung nicht hingeben durfte. Sie durfte nicht zusammenbrechen, sondern musste tapfer sein und verständnisvoll. „Ich ahnte nicht, dass Bakri Ihnen so nahegestanden hat. Es muss schlimm für Sie sein, dass Sie ihn verloren haben.“
„Er war ein Mann von Ehre und ist stolz in den Tod gegangen“, meinte Ramiz und begann, in seiner Muttersprache ein Gebet für den Verstorbenen zu sprechen.
Schließlich wandte er sich wieder Celia zu. „Bitte warten Sie im Zelt auf mich. Ich komme zu Ihnen, sobald ich hier fertig bin.“
Sie machte sich auf den Weg. Das Herz war ihr schwer, weil sie die Kritik an George, die in Ramiz’ Worten über Bakri versteckt gewesen war, sehr wohl verstanden hatte. Gleichzeitig fühlte sie sich schuldig, weil sie ihren Gatten nicht hatte schützen können. Sie wusste, dass sie selbst den Tod gefunden hätte, wenn sie sich nicht wenigstens eine Zeit lang hinter dem Felsen versteckt hätte, so wie Ramiz es ihr befohlen hatte.
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