Verführt von einer Lady
Verlobte vernarrt.
Von Vernarrtheit hielt Thomas nicht viel.
„Ich muss schon sagen, das ist aber sehr großzügig von Ihnen“, meinte Grace mit einem höchst irritierenden Lächeln.
Er zuckte mit den Schultern. Kaum merklich. „Ich bin eben ein großzügiger Mensch.“
Elizabeths Augen weiteten sich, und er glaubte zu hören, wie sie nach Luft schnappte, aber ansonsten blieb sie stumm.
Eine schweigsame Frau. Vielleicht sollte er diese Schwester heiraten.
„Sie wollen uns also verlassen?“, fragte Grace.
„Wollen Sie mich loswerden?“
„Keineswegs. Sie wissen genau, dass ich mich immer über Ihre Gesellschaft freue.“
Normalerweise hätte er darauf ebenso ironisch geantwortet, doch bevor er etwas sagen konnte, entdeckte er hinter dem Vorhang, der den Saal vom Flur trennte, einen Kopf – besser gesagt, den Teil eines Kopfes – hervorlugen.
Lady Amelia. So weit war sie also nicht geflohen.
„Ich bin zum Tanzen gekommen“, verkündete er.
„Sie hassen es zu tanzen“, meinte Grace.
„Gar nicht wahr. Ich hasse es, wenn es von mir verlangt wird. Das ist etwas ganz anderes.“
„Ich kann meine Schwester holen“, sagte Elizabeth rasch.
„Seien Sie nicht albern. Offenbar will sie auch nicht tanzen, wenn es von ihr verlangt wird. Grace soll meine Partnerin sein.“
„Ich?“ Grace wirkte überrascht.
Thomas winkte dem kleinen Orchester an der Stirnseite des Raums. Sofort hoben die Musiker ihre Instrumente.
„Sie glauben doch nicht, dass ich mit irgendjemand anderem hier tanzen würde?“
„Wie wäre es mit Elizabeth?“, fragte sie, während er sie zur Tanzfläche führte.
„Sie machen wohl Witze“, murmelte er. Lady Elizabeth Willoughby hatte die Farbe immer noch nicht zurückgewonnen, die ihr aus dem Gesicht gewichen war, als ihre Schwester ihnen den Rücken zugekehrt und den Saal verlassen hatte. Wenn sie jetzt tanzen müsste, würde sie vermutlich in Ohnmacht fallen.
Außerdem eignete Elizabeth sich nicht für seine Zwecke.
Er linste zu Amelia hinüber. Zu seiner Überraschung versteckte sie sich darauf nicht sofort hinter dem Vorhang.
Er lächelte. Nur ein wenig.
Und dann sah er – und fand es höchst befriedigend –, wie sie aufkeuchte.
Danach verschwand sie hinter dem Vorhang, aber er machte sich keine Sorgen. Sie würde ihn beim Tanzen beobachten. Jeden einzelnen Schritt.
2. KAPITEL
Amelia wusste genau, was er zu erreichen versuchte. Es war ihr sonnenklar, sie war sich auch der Tatsache bewusst, dass sie manipuliert wurde, und doch – zum Kuckuck mit dem Kerl! – stand sie hier, versteckte sich hinter dem Vorhang und sah zu, wie er mit Grace tanzte.
Er tanzte hervorragend. Das wusste Amelia bereits. Während ihrer beiden Londoner Saisons hatte sie oft mit ihm getanzt, Quadrillen, Kontretänze, Walzer, was es auch gab. Und allesamt waren sie Pflichttänze gewesen.
Und doch war es manchmal – manchmal – auch wunderschön gewesen. Amelia war nicht immun gegen die Meinung anderer Leute. Es war herrlich, die Hand auf den Arm von Londons begehrtestem Junggesellen zu legen, vor allem, wenn einem ein rechtsverbindlicher Vertrag das alleinige Anrecht auf besagten Junggesellen zusicherte.
Alles an ihm war irgendwie größer oder besser als an anderen Männer. Er war reich! Er besaß einen Titel! Bei ihm schmolzen törichte junge Damen reihenweise dahin!
Und die klügeren – nun, die schmolzen auch dahin.
Amelia war sich sicher, dass Thomas Cavendish auch dann die Partie des Jahrzehnts gewesen wäre, wenn er mit Buckel und zwei Nasen auf die Welt gekommen wäre. Unverheiratete Herzöge waren nicht allzu dicht gesät, und es war allgemein bekannt, dass die Wyndhams mit ihrem Besitz den meisten europäischen Fürstentümern Konkurrenz machten.
Aber der Rücken Seiner Gnaden war nicht buckelig, und seine Nase (glücklicherweise besaß er nur eine davon) war gerade und attraktiv und passte von den Proportionen her ganz wunderbar in sein Gesicht. Sein Haar war dunkel und dicht, seine Augen faszinierend blau, und falls er nicht ein paar Lücken weiter hinten verbarg, war er auch im Vollbesitz seiner Zähne. Objektiv gesehen konnte man seine Erscheinung gar nicht anders als attraktiv nennen.
Aber selbst wenn seine Reize sie nicht kaltließen, machten sie sie doch nicht blind. Und obwohl sie mit ihm verlobt war, betrachtete Amelia sich bei seiner Beurteilung als objektiv. Anders konnte es nicht sein, denn sie war durchaus in der Lage, seine Makel und Schwächen zu benennen
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