Verführung der Nacht: Ein Vampirthriller (German Edition)
sagen.
»Was zum Teufel soll das heißen?«
Nein. Dr. Avery runzelt leicht die Stirn, als müsse er sich konzentrieren. Antworten Sie nicht mit Ihrer Stimme. Benutzen Sie Ihren Geist.
Sind Sie verrückt?
Er strahlt. Das war doch gar nicht so schwer, oder?
Ich lasse mich wieder auf den Sessel sinken, denn vor Überraschung und Grauen wird mir schwindelig. Habe ich das tatsächlich gerade getan? Meine Gedanken zu ihm … projiziert?
Natürlich haben Sie das, antwortet Dr. Avery, der übers ganze Gesicht strahlt wie ein Kind an Weihnachten. Stolz, Freude und Staunen mischen sich auf seinem Gesicht. Sie lernen wirklich schnell. Das wusste ich, sobald ich Sie im Krankenhaus gesehen habe.
Was haben Sie im Krankenhaus gesehen?
Ich halte ihn auf, bevor er mir auf diese unheimliche telepathische Art antworten kann. Ich hebe die Hand und sage grimmig: »Nein. Sprechen Sie mit mir. Ganz normal. Sonst werde ich noch verrückt.«
Ein Schatten der Enttäuschung dämpft das Leuchten auf seinem Gesicht. »Ich dachte, Sie würden sich zumindest freuen zu wissen, welch gute Fortschritte Sie machen. Die meisten kommen nicht so schnell so weit voran.«
»Die meisten was?«
Er wirft mir einen Seitenblick zu. »Kommen Sie. Sie müssen doch wissen, zu was Sie gerade werden.«
Die Härchen in meinem Nacken sträuben sich, und ich bekomme eine Gänsehaut. »Zu was ich werde?«
Er denkt: Sie hört sich allmählich an wie ein Papagei.
Mein Gott, woher weiß ich, was er denkt?
Laut sagt er: »Ich wusste, dass Sie ein paar Fragen über Donaldson haben würden, aber ich dachte, es ginge dabei eher um Was habe ich noch zu erwarten, und wie gehe ich damit um? «
»Wie gehe ich mit was um?«
Endlich scheint Avery aufzugehen, dass wir aneinander vorbeireden. Vielleicht ist er doch kein so guter Gedankenleser, wie er dachte.
Oh, normalerweise bin ich das, kommt sofort die Antwort. Ich verstehe das nicht.
Er versteht das nicht?
Ich bin wieder auf den Beinen und gehe wie eine Irre vor ihm auf und ab. »Hören Sie auf damit. Drängen Sie sich nicht so in meinen Kopf. Hören Sie mir zu. Was sind Sie? Zu was soll ich ›werden‹? Was hat das alles mit Donaldson zu tun? Herrgott, ich habe allmählich das Gefühl, ich werde verrückt.«
Er zögert nur eine Sekunde und mustert mich mit geschürzten Lippen. Dann steht er ebenfalls auf. Er nimmt meine Hand und führt mich zu dem Wandspiegel neben der Tür. »Sehen Sie mich an, Anna.«
Ich fürchte mich ein wenig, hebe aber doch den Blick zum Spiegel. Ich spüre seine Hand, fühle, wie nah sein Körper neben meinem steht. Aber da ist kein Spiegelbild. Keines. Und mein eigenes Spiegelbild ist neblig und verschwommen, und während ich hinsehe, verblasst es noch mehr.
Ich mache einen Satz rückwärts, und mein Herz hämmert dermaßen, dass ich fürchte, es könnte platzen. »Das kann nicht wahr sein.«
Warum zweifeln Sie daran?
»Hören Sie auf.« Mein Schock weicht rasendem Zorn. Ich reiße die Haustür auf. »Raus hier. Ich will Sie nicht mehr in meinem Haus haben.«
Er rührt sich nicht, sondern sieht mich nur mit traurigem, mitfühlendem Blick an. »Das geht nicht, Anna. Sie brauchen mich. Und um die Wahrheit zu sagen, ich brauche Sie auch. Da ist etwas, das Sie tun müssen, bevor Sie in die Familie aufgenommen werden können.«
Familie? Ich mag mir gar nicht vorstellen, was für eine Familie das sein könnte.
»Die einzige, die Sie jetzt noch haben«, antwortet Avery, ohne dass ich laut danach gefragt hätte. »Nun, da Sie ein Vampir sind.«
Kapitel 8
V ampir?
Das Wort hängt zwischen uns in der Luft, schwarz und unheilverkündend wie eine Gewitterwolke. Wir starren einander an, keiner von uns beiden rührt sich. Ich kann kaum atmen. Avery greift an mir vorbei und schließt die Haustür. Diese einfache Bewegung bricht den Bann und holt mich zurück. Die Wut jedoch ist verschwunden.
»Wovon sprechen Sie überhaupt?«
Er deutet aufs Wohnzimmer. »Möchten Sie sich nicht setzen?«
Immerhin spricht er, statt diesen albernen Gedankenlesertrick abzuziehen. Ich nicke und folge ihm zum Sofa. Wir lassen uns an entgegengesetzten Enden nieder, mit möglichst viel Abstand zwischen uns. Ich kauere mich auf die Sofakante, denn der Drang zu fliehen ist stark. »Erklären Sie mir das.«
»Wo soll ich anfangen?«
Ich drücke die Hände an die Schläfen. »Am Anfang, denke ich. Bei Donaldson.«
»Können Sie sich an irgendetwas erinnern?« Er blickt mir forschend ins Gesicht und gibt
Weitere Kostenlose Bücher