Verführung der Nacht: Ein Vampirthriller (German Edition)
er mich überfallen hat? Ein eiskalter Finger streicht über meinen Rücken. Was hat Dr. Avery noch gesagt? Es sah aus, als hätte er versucht, mir die Kehle durchzuschneiden. Ich könnte jetzt tot sein.
Und doch …
In dem Artikel steht nichts darüber, was er vor dieser Bar mit mir gemacht hat. Plötzlich fällt mir auf, dass die Polizei sich deswegen auch noch nicht mit mir in Verbindung gesetzt hat. Kopfgeldjäger sind bei den meisten Polizisten nicht sonderlich beliebt, aber ich bin Opfer eines Verbrechens geworden. Sie müssten mich zumindest befragen. Und dann ist da noch die Sache mit meinem Auto. Es muss beschlagnahmt worden sein und auf irgendeinem Polizeiparkplatz stehen, und sobald die Spurensicherung abgeschlossen ist, müssten sie es mir zurückgeben.
Warum habe ich keine Nachricht auf dem Anrufbeantworter, ich solle mich bitte bei der Polizei melden? Hat David sich schon um all das gekümmert und vergessen, es mir zu sagen? Oder haben er und Dr. Avery die Cops davon überzeugt, dass ich nichts zur Aufklärung beitragen könne – bis auf die an meinem Körper gesicherten Beweismittel, versteht sich –, solange ich mich an nichts erinnern kann?
Zumindest eine Sache ist mir jetzt klar – warum Jerry in seiner Nachricht Donaldson nicht erwähnt hat. Wegen der neuen Straftaten, die Donaldson vorgeworfen werden, hat das Gericht die Freilassung gegen Kaution sicherlich aufgehoben. Jerry müsste dann nicht mehr für die Kaution geradestehen. Donaldson wird schnurstracks in den Knast gehen.
Wenn sie ihn erwischen. Aber je länger er sich in Mexiko aufhält, desto unwahrscheinlicher wird das.
Jorge kommt mit meinem Steak, und ich lasse es mir schmecken. Das saftige Fleisch ist zart und blutig – normalerweise mag ich es nicht so. Bei Steak bin ich eher ein Medium-Fan. Aber heute ist kurz angebraten genau richtig für mich, es schmeckt köstlich. Muss wohl daher kommen, dass ich so viel Blut verloren habe.
Ich seufze zufrieden, kaue und lasse meine Gedanken zu alltäglicheren Dingen abschweifen. Wäsche muss gewaschen, Einkäufe müssen erledigt und Rechnungen bezahlt werden. Ich mache im Geiste eine Liste, was in welcher Reihenfolge zu tun ist, esse mein Steak auf, tunke Brot in den Saft und gebe Jorge einen Wink, mir die Rechnung zu bringen.
Als ich ihm meine Kreditkarte hinhalte, merke ich, dass ich seit gut zwanzig Minuten nicht ein einziges Mal an das gedacht habe, was auf dem Parkplatz passiert ist. Diese Gleichgültigkeit ist unnatürlich; ich bin zwar froh darüber, dass ich nicht als Häuflein Elend in der Ecke vor mich hin schluchze, doch die Stimme der Vernunft sagt mir auch, dass da etwas ganz und gar nicht stimmt.
Ich komme nur nicht dahinter, was.
Ich verlasse das Restaurant und spaziere die Strandpromenade entlang zurück zu meiner Straße. Es ist sechs Uhr abends, und erst jetzt kommt die Sonne durch. Sonnenschein ist am Strand aus irgendeinem Grund anders als sonst irgendwo auf der Welt. Rot und Blau und Grün wirken satter, was auch erklärt, warum so viele Strandhäuser in allen Farben des Regenbogens gestrichen werden. Die reinen, klaren Farben reflektieren das prächtige Sonnenlicht, und sie nur anzusehen, macht einen schon glücklich.
Ich spüre jetzt dieses Glücksgefühl, bade darin und lasse die Wärme der trockenen Sommersonne bis tief in meine Knochen dringen. So soll es im Juli sein. Vielleicht haben wir diesen verdammten Nebel endlich –
Plötzlich werde ich aus meinen angenehmen Gedanken gerissen. Ich bin fast zu Hause, und da lehnt jemand an meinem Gartentor. Er trägt zerschlissene Jeans und ein ärmelloses T-Shirt, aber dieser Schopf roter Haare ist selbst aus der Entfernung unverwechselbar.
Dr. Avery macht einen Hausbesuch.
Kapitel 7
A ls er mich sieht, stößt er sich vom Gartentor ab und kommt mir bis zur Strandpromenade entgegen. »Ihr Haus gefällt mir sehr«, sagt er begeistert.
Er grinst und sieht sich um, was mir Gelegenheit gibt, ihn unauffällig zu mustern. Als ich ihn zuletzt gesehen habe, trug er Krankenhauskleidung und war von Kopf bis Fuß mit Stoff bedeckt. Jetzt jedoch, in dieser Aufmachung, bietet sich mir ein Blick auf muskulöse Arme, kräftige Schultern und lange, starke Beine, alles braun gebrannt. Ich brauche einen Moment, um meinen Blick von dieser unerwartet sportlichen Figur loszureißen und ihm wieder ins Gesicht zu sehen. Er trägt eine schwarze Ray-Ban-Sonnenbrille, die seine Augen verbirgt, doch sein Mund lässt ungenierte
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