Verführung der Nacht: Ein Vampirthriller (German Edition)
hässliche, klaffende Wunden, die jemand im Blutrausch gerissen hat. Jemand, dem es egal ist, ob er Spuren hinterlässt, weil er sicher ist, dass niemand sein Opfer je finden wird.
Avery.
Wut, glühend heiß, brennt so tief in meinem Inneren, dass ich sie zurückdrängen und aus meinen Gedanken vertreiben muss. Die Rache kommt später. Zuallererst muss ich David in Sicherheit bringen. Zu meinem Erschrecken fällt mir auf, dass ich nichts darüber weiß, wie das Trinken sich auf den menschlichen Körper auswirkt. Wird David sich von allein erholen? Braucht er eine Bluttransfusion? Kann ich es riskieren, ihn in ein Krankenhaus zu bringen?
Ich kann keine dieser Fragen beantworten. Die einzige Person, die ich fragen könnte, ist die letzte Person, die ich fragen kann. Ich nehme David auf die Arme wie eine Puppe und trage ihn die Treppe hinauf. Ich lege ihn auf Averys Bett und kehre in die Schatzkammer zurück. Dort rolle ich den Teppich auf und lege ihn so wieder an die Wand, wie ich ihn gefunden habe. Falls Avery zurückkommen sollte, während ich weg bin, wird dieser Raum auf den ersten Blick so aussehen, wie er ihn zuletzt verlassen hat.
Dann mache ich mich daran, das Bücherregal wieder in Ordnung zu bringen. Ich habe keine Ahnung, wie die Bücher einsortiert waren – wie dumm von mir, dass ich nicht darauf geachtet habe. Aber Avery ist ein ordentlicher Mann, und ich gehe davon aus, dass er seine Bücher nach Themen sortieren würde. Also stelle ich die medizinischen Fachbücher zusammen, dann Romane, dann allgemeine Sachbücher. Wenn er danach fragt, werde ich ihm erzählen, Dena hätte hier Staub gewischt und ich hätte sie gestört, bevor sie ihre Arbeit beenden könnte, deshalb hätte ich die Bücher selbst wieder eingeräumt.
Lahm. Aber etwas Besseres fällt mir nicht ein.
Außerdem wird Avery sich demnächst mit dringenderen Problemen befassen müssen als einem unordentlichen Bücherregal.
Grimmig mustere ich das Schlafzimmer ein letztes Mal. Die Tür neben dem Kamin ist wieder geschlossen, der Kerzenhalter aufgerichtet. Ich hebe David vom Bett hoch und trage ihn hinunter, durch die Hintertür hinaus zur Garage. Ich lege ihn auf den Rücksitz des Explorer, verstecke ihn unter einer Decke, und dann fällt mir ein, dass ich meine Handtasche und das Handy im Haus gelassen habe.
Ich habe schon fast die Hintertür erreicht, als ich ein Auto die Auffahrt entlangkommen höre. Hat Dena vorhin etwas vergessen? Ich schirme die Augen mit der Hand gegen die grelle Mittagssonne ab und blicke zum Tor hinunter.
Aber es ist nicht Denas Auto, das da kommt. Es ist Averys.
Mein erster Impuls ist, mich auf ihn zu stürzen und ihm keine Chance zu geben, zu fliehen oder sich zu wehren. Ich will ihn für das, was er getan hat, in Stücke reißen.
Aber ich weiß, dass das nicht geht. Zumindest noch nicht. Ich muss Hilfe für David holen. Und Avery muss mir ein paar Fragen beantworten.
Ich reiße mich zusammen, beruhige mein wild schlagendes Herz und lösche alle Gedanken daran, was ich heute Morgen gefunden habe, aus meinem Verstand. Er darf nicht erfahren, was ich getan habe.
Als ich ihm entgegengehe, lächle ich. Und als er mich in die Arme schließt, um mich zu küssen, erwidere ich den Kuss.
Einen Moment später löst er sich von mir und weist auf die Garage. »Wolltest du ausgehen?«
»Ich wollte einkaufen gehen«, sage ich ohne Zögern. Lügen scheint mir zur zweiten Natur zu werden. »Ich wollte mir etwas Besonderes für heute Abend kaufen.«
Er lächelt und streckt den Arm nach dem Rücksitz seines Wagens aus. »Ich habe dir die Mühe abgenommen.« Er zieht einen langen Kleidersack heraus und hält ihn mir hin. »Ich denke, dass müsste an dir zauberhaft aussehen.«
Ich ziehe den Reißverschluss ein Stückchen herunter, gerade weit genug, um den mit Edelsteinen bestickten Ausschnitt eines Designerkleids zu enthüllen, hellrot mit schmalen Spaghettiträgern und einem Etikett, auf dem Badgley-Mischka steht. Ich blicke zu Avery auf. »Von New Yorks heißesten Designern. Wie hast du das geschafft?«
»Kein Problem, wenn man die richtigen Freunde hat«, entgegnet er, und seine Augen blitzen vor Freude.
Ich hänge mir den Kleidersack über den Unterarm. Danke schön. Kommst du mit rein?
Avery schüttelt den Kopf. Das wäre schön. Aber ich habe heute Nachmittag Sprechstunde. Ich wollte dir nur das Kleid bringen und dich daran erinnern, dass ich dir um acht Uhr einen Wagen schicke. Wir haben einen Abend vor uns,
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