Verführung Der Unschuld
Ihr wurde heiß, aber es war nicht die Wärme der Tages, die in den
Wänden gespeichert war und jetzt von ihnen abgegeben wurde.
»Richtig.«
»Ja – aber ich verstehe nicht, was ich darin soll.«
Er kicherte wissend. »Na – arbeiten natürlich, meine Süße! Deinen Lebensunterhalt
verdienen und deine Reisekosten abarbeiten!«
»Waaas?« Giulia machte einige Schritt rückwärts, instinktiv zur Flucht bereit. Ihr Herz
drohte vor Schreck auszusetzen.
»Halt, halt, nicht weglaufen! Rein mit dir, deine Kammer ist für dich vorbereitet! Und schön
gehorsam sein – verstanden?«
Er setzte ihr nach, packte sie am Handgelenk und schob sie energisch hinein. Giulia drehte
sich mit ehrlichem Entsetzen auf dem Gesicht wieder zu ihm um, um ihm zu widersprechen,
doch nun erkannte sie im Lichtschein der Fackel seine Absichten. Sie waren hier, um ein
sinnliches Spiel miteinander zu spielen. Ein lauernder, amüsierter Ausdruck lag auf seinem
Gesicht, ein kaum zurückgehaltenes Lächeln zuckte um seine Mundwinkel. Plötzlich jagte ein
erwartungsvoller Schauer über ihren Körper, und sie unterdrückte ihren Widerspruch.
Entschlossen drehte sie sich um und folgte mit schwingenden Hüften dem flackernden Licht,
das aus einer der Zellen ins Atrium fiel. Alles andere rundum war stockfinster. Der Boden
fühlte sich kühler an als draußen. Sie spürte das kleinteilige Mosaik und den darauf liegenden
Staub unter ihren Fußsohlen.
Der Anblick der Kammer selbst verschlug Giulia die Sprache. Sie setzte, langsam wie ein
Eindringling, einen Schritt vor den anderen, drehte sich, um alles zu erfassen, war überwältigt
von den Veränderungen, die der Raum seit dem Nachmittag erfahren hatte. Von dem
steinernen Bett war nicht mehr zu sehen als sein breiter Umriss. Rote Kissen, einfarbig oder
mit aufgestickten Ornamenten und Borten schmückten die große Fläche, rote Decken
umhüllten vollständig den rechteckigen Klotz. Unter den Decken befand sich ein hohes
weiches Polster, über dessen Inhalt Giulia mutmaßte, dass es sich um Schaumstoff handelte,
denn für ein Strohlager war es zu weich und zu glatt, wie ein Test mit ihrer Hand ergab.
Entlang der Wand waren Dutzende hohe weiße Kerzen, aber auch Teelichter in bunten
Gläsern aufgestellt, die Licht für mehrere Stunden spenden würden. Einige kleine
Beistelltische und Sitzpolster rundeten das Gesamtbild ab und füllten den ohnehin spärlichen
Rest des Zimmers aus. Auf den Tischchen standen Trinkbecher aus Zinn in der Form kleiner
Pokale, eine Karaffe mit Rotwein, eine weitere mit Wasser, eine große Schale mit Obst, eine
Platte mit Käse und Oliven … in der hinteren Zimmerecke zwei große Wasserkannen und auf
einem eisernen Gestell eine Waschschüssel.
»Wie heißt du?«
Giulia fuhr erschrocken herum.
In der Tür stand ein Mann, der sein Gesicht hinter einem Zipfel des schwarzen Umhangs
verbarg, den er über den Schultern trug. Er wirkte gespenstisch, hob sich kaum vom dunklen
Hintergrund ab. Nur seine Augen waren zu erkennen, stachen aus dem Umriss einer ebenfalls
schwarzen Maske hervor und blickten sie über den Rand des Umhangs an.
»Giulia«, stieß sie nervös hervor.
»Gut, dann bin ich ja hier richtig.«
Seine Stimme klang tief, sonor, irgendwie ein wenig fremd.
»Lorenzo? Bist du das?«, fragte Giulia daher verunsichert.
»Wer?«
Giulias Herz fing unruhig an zu pochen.
»Du bist doch Lorenzo – oder?« Alles in ihr zog sich krampfartig zusammen, und ihr
versagte beinahe die Stimme. Er hatte die Sache mit dem Bordell doch wohl nicht ernst
gemeint und verkaufte sie in dieser Nacht an wildfremde Männer? Das alles war doch
hoffentlich nur ein Spiel?
Der Fremde nahm den Umhang ab und warf ihn auf ein Sitzkissen. »Lorenzo?«, krächzte er
verächtlich. »Wer ist das? Wie viele Freier wirst du heute Nacht noch bedienen? Ich dachte,
ich hätte dich für mich ganz alleine gebucht? Schließlich habe ich deinem Beschützer eine
Menge Geld bezahlt! Und du willst sicherlich auch noch etwas haben.«
Entsetzen und Abwehr machte sich auf Giulias Gesicht breit. Sie fröstelte. Verstellte
Lorenzo seine Stimme, hatte er sich verkleidet oder war dies wirklich ein Fremder?
Automatisch wich sie zwei Schritte zurück und wurde sich dann bewusst, dass sie
nirgendwohin ausweichen konnte. Der einzige Ausgang wurde von diesem Mann versperrt,
den sie nicht kannte. Seine dunkelblonden Haare fielen ihm in großen Locken bis auf die
Schultern herunter, und seine Lippen waren hinter einem dichten
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