Verführung Der Unschuld
doch eine faule Ausrede!«
Giulia fühlte sich ausgelassen und befreit. Der lockere Umgangston und das vertrauliche
Duzen versetzte sie in eine überschäumende Stimmung von Glück. Beide lachten sich an wie
Kinder, nahmen sich fest an der Hand und schlenderten weiter, sahen sich noch die Thermen
und das Amphitheater an, und kehrten spät am Mittag hungrig und verschwitzt von der Hitze
zum Hotel zurück.
Den Nachmittag verbrachten sie faul und badend am hoteleigenen Swimmingpool, wo auch
Federico wieder zu ihnen stieß. Er verriet mit keinem Wort, wo er gewesen, und was er
gemacht hatte, wirkte jedoch sehr zufrieden.
***
»Wohin gehen wir?«
Lorenzo war nach dem ausgiebigen Diner auf einmal aufgestanden und hatte Giulia
aufgefordert, mit ihm einen abendlichen Spaziergang zu machen. Sie verspürte dazu
überhaupt keine Lust. Aber die Autorität, die beide wie auf Knopfdruck auszustrahlen
vermochten, erstickte jede Frage, jeden Widerspruch.
Es war bereits dunkel, aber immer noch sehr warm. Die Hitze, die von der Sonne tagsüber in
Asphalt, Hauswände, Dächer eingespeist worden war, sorgte nun für angenehme
Temperaturen. Nur zum Schlafen würde es zu warm sein, aber glücklicherweise verfügte das
Hotel über eine Klimaanlage in den Zimmern, so dass nur sie selbst sich in ihrem
Liebestaumel gegenseitig in Hitzewallungen versetzen würden.
»Wohin gehen wir?«, fragte Giulia erneut, während sie sich Mühe gab, auf ihren
hochhackigen Sandaletten mit ihm Schritt zu halten. Bei Nacht sah alles anders aus als
tagsüber, und sie hatte keine Ahnung, wohin sie unterwegs waren. Und außerdem – warum
war Federico nicht mitgekommen? Lorenzo hatte sie fest an der Hand genommen, als
befürchtete er, sie könnte ihm davonlaufen. Eine absurde Idee. Im Augenblick fühlte sie sich
wie ein Kind, das man energisch irgendwohin mit sich zieht, wo es möglicherweise nicht hin
will.
»Wohin?«
»Lass dich überraschen!« Lorenzo blieb abrupt stehen. Sein Gesicht war kaum zu erkennen,
denn die nächste Straßenlaterne befand sich in seinem Rücken. »Bist du gehorsam?«
»Ja – warum?«, erwiderte Giulia überrascht. »Habe ich irgendetwas falsch gemacht?«
»Nein«, erwiderte er und ging weiter. »Aber wir werden sehen …«
Sein geheimnisvolles Getue und seine fast flüsternde, verschwörerisch klingende Stimme
jagte Giulia einen prickelnden Schauer den Rücken herunter. Dann, als sie die Straße
überquerten, wusste sie mit einem Male, wohin sie unterwegs waren: zur antiken Stadt. Aber
was wollte er dort um diese Uhrzeit?
Die letzten Meter versanken in der Dunkelheit. Zwei der Straßenlaternen waren ausgefallen.
Eine rötliche Glut flammte kurz vor ihnen in der Luft auf, ausgestoßener Zigarettenrauch
strömte ihnen entgegen. Da blitzte aus dem Nichts eine Taschenlampe auf und leuchtete ihnen
fast ins Gesicht.
»Signor Moreno?«
»Ja. Ist alles vorbereitet?«
Die Lampe wurde ein wenig gesenkt.
»Si, certo . Ich hoffe, Sie sind zufrieden.«
Der Mann, den Giulia in der Dunkelheit nicht zu erkennen vermochte, reichte Lorenzo die
Taschenlampe. Das Eingangstor wurde geöffnet, und Giulia wurde von Lorenzo durch die
Porta Marina gezogen, ehe sie sich von ihrer Verblüffung erholt hatte.
»Aber – was machen wir hier, was hat das zu bedeuten, wer …« , sprudelten die Fragen aus
ihrem Mund, als sie sich gefangen hatte.
»Keine Fragen!«, brummte er und ging weiter. An der Straßenecke zum Forum und weiter
die Seitenstraße entlang brannten ein paar auf den Fußweg gestellte Teelichter und wiesen
ihnen den Weg durch die Dunkelheit.
Giulia stolperte auf dem buckligen Weg. Lorenzo fing sie gerade noch auf, bevor sie
gestürzt wäre. »Hoppla! Am besten du ziehst deine Schuhe aus und trägst sie!«
Giulia gehorchte. Er wartete, bis sie ihre Schuhe ausgezogen hatte, nahm sie wieder an der
Hand und ging weiter. Die Steine unter den Füßen waren noch warm, und von den vielen
Fuhrwerken in alter und den Fußgängern in neuer Zeit glatt geschliffen.
Dann erkannte Giulia die Hausecke wieder. Eine an der Wand angebrachte Fackel
beleuchtete einen der Eingänge. Lorenzo blieb stehen und deutete hinein. Seine Geste war
eindeutig. Er schickte sie alleine voraus.
Giulia sah ihn prüfend an und fragte zweifelnd: »Was, was soll ich da drin? Was hat das zu
bedeuten?«
Er lachte amüsiert auf. »Nach was sieht es denn aus?«
Giulia zuckte mit den Schultern. »Es ist das – ähm, das Bordell, das wir heute Nachmittag
angeschaut haben.«
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