Verfuehrung im Harem
zustößt.“
Sein Blick wirkte genauso ernst und aufrichtig wie damals, als er darauf bestanden hatte, sie zu begleiten. Sie hatte ver sucht, es ihm auszureden, ohne ihm den wahren Grund zu verraten, warum sie die Reise lieber ohne ihn gemacht hätte: Sie wollte so wenig Zeit wie möglich mit ihm verbringen.
Seit sie wusste, dass er die Frau, die seine große Liebe gewesen war, verloren hatte, sah sie ihn in einem anderen Licht. Ihre innere Abwehr löste sich immer mehr auf, und sie befürchtete, seiner faszinierenden Ausstrahlung zu erliegen. Sie brauchte Zeit, um ihm gegenüber wieder eine neutrale Einstellung zu gewinnen. Aber er ließ ihr keine Zeit.
Sie warf ihm einen Seitenblick zu und bekam Herzklopfen. Er sah einfach viel zu gut aus. Und wie er da so völlig locker, stolz und aufrecht im Sattel saß, war er vom Scheitel bis zur Sohle ein Wüstenprinz. Die obersten Knöpfe des weiten hellen Baumwollhemds, dessen Ärmel sich im Wind blähten, waren geöffnet, und als sie die dunklen Härchen auf seiner Brust erspähte, wünschte sie, sie könnte viel mehr sehen. Wenn sie so weitermachte, würde sie ihm gegenüber bestimmt keine neutralere Einstellung gewinnen, sondern sich immer mehr in etwas hineinsteigern, was zu nichts führen konnte.
„Ich habe keine Angst davor, abgeworfen zu werden, falls du das denkst“, sagte sie. „Jedenfalls ist das nicht meine einzige Sorge.“
„Was beunruhigt dich denn sonst noch?“
Sie sah sich in der einsamen Gegend um und betrachtete die mit Gras und Bäumen bewachsenen Berge, die in seltsamem Kontrast zu der sandigen und felsigen Wüste standen, die sie hinter sich gelassen hatten. Nachdem sie so weit wie möglich mit dem Auto gefahren waren, waren sie für den letzten Teil der Reise auf die Pferde umgestiegen, die ihnen in Pferdetransportern gefolgt waren. Jessica gestand sich ein, das Kardahl recht hatte. In dieser unwirtlichen Gegend wären sie auch mit einem Geländewagen nicht weitergekommen. Der Pfad war zu schmal und zu steil und sogar für die Pferde kein Kinderspiel.
Ihr Problem war: In ungefähr einer halben Stunde würde sie zumindest ein Mitglied ihrer Familie kennenlernen, was sie sich gewünscht hatte, seit sie denken konnte, und woran sie schon gar nicht mehr geglaubt hatte. Sie hatte befürchtet, ihre Verwandten würden sie ablehnen und nicht sehen wollen, weil sie das Kind aus der Affäre ihrer Mutter mit einem verheirateten Mann war. Immerhin waren sie mit ihrem Besuch einverstanden, was ein gutes Zeichen war. Jessica hatte jedoch keine Ahnung, was sie erwartete. Vielleicht hatte ihre Mutter gute Gründe gehabt, das Land zu verlassen und den Kontakt zu ihrer Familie abzubrechen. Obwohl Jessica bald am Ziel ihrer Wünsche war, fühlte sie sich unsicher und wurde von allen möglichen Ängsten geplagt. Wenn ihre Angehörigen sie am Ende doch ablehnten, wäre sie zutiefst enttäuscht und verzweifelt.
„Wenn sie mich nicht mögen, was dann?“, fragte sie unvermittelt und wünschte sogleich, sie hätte es nicht laut ausgesprochen, denn es hörte sich ziemlich kindisch an und verriet ihre Unsicherheit.
Kardahl legte die Hand auf ihre. „Dann wären sie dumm und es nicht wert, dich kennenzulernen.“
Vor lauter Rührung war Jessica die Kehle wie zugeschnürt, und sie schluckte. „Meinst du das ernst?“
„Natürlich.“
„Danke. Ich wollte mich nur vergewissern.“ Ihr drohte die Stimme zu versagen, und Jessica wünschte, er wäre nicht so nett. Aber er hatte sich ihr gegenüber immer nett und freundlich verhalten. Dass sie sich wünschte, er wäre nicht so zurückhaltend und würde sie wieder einmal küssen, konnte sie ihm nicht zum Vorwurf machen.
Sie wandte den Blick von seinen sinnlichen Lippen ab und beobachtete, wie die Sonne hinter dem Berggipfel unterging. Kardahl sollte nicht merken, was in ihr vorging. Sie hatte ihm schon viel zu viel über sich verraten. Das hatte sie nur deshalb getan, weil sie hatte einsehen müssen, dass er nicht so gefühllos und oberflächlich war, wie sie geglaubt hatte. Doch jetzt war alles viel zu kompliziert, und es wäre besser, er wäre im Palast geblieben.
Schweigend ritten sie weiter. Jessicas Nerven waren zum Zerreißen gespannt. Sie musste sich unbedingt von den beunruhigenden Gedanken ablenken, sonst würde das Pferd wieder anfangen zu reagieren und genauso nervös werden wie sie.
„Erzähl mir etwas über diese Menschen, die in der Wüste leben“, bat sie Kardahl.
Er sah sie kurz an. „Diese
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