Verfuehrung in aller Unschuld
erklang plötzlich eine lispelnde Kinderstimme hinter ihr.
Lucy drehte sich um und blickte in ein fröhliches Kleinmädchengesicht mit Zahnlücke und wachen dunklen Augen. Ihr eigenes Lächeln fühlte sich wie eingerostet an.
„Ich heiße Lucy und bin vierundzwanzig.“
„Ganz schön alt.“ Die Kleine lugte aus ihrem Versteck hinter Palmwedeln hervor. „Wärst du nicht lieber sechs?“
„Oh, ja!“ Lucy hätte viel darum gegeben, dieses Paradies ohne Angst vor der Zukunft genießen zu können. Die Kleine führte ihr schmerzlich vor Augen, wie sehr sie den Umgang mit Kindern vermisst hatte. Eigentlich hatte sie vorgehabt, Pädagogik zu studieren und Lehrerin zu werden, doch mit ihrer Vorstrafe konnte sie das wohl vergessen.
„Spielst du mit mir?“
Lucy zögerte. Wer überließ sein Kind schon gern der Obhut einer entlassenen Strafgefangenen?
„Du solltest erst deine Mama fragen, bevor du mit Fremden spielst.“
„Du bist keine Fremde. Du bist eine Freundin von Domi, oder?“
„Domi? Wer ist …?“
„Domi gehört das Haus.“ Chiara machte eine ausholende Geste. „Und der Garten. Die ganze Insel gehört ihm.“
„Oh, verstehe. Aber frag trotzdem erst deine Mama.“
„Onkel Rocco!“, rief die Kleine an ihr vorbei. „Kann ich mit Lucy spielen? Sie sagt, ich soll Mama fragen, aber Mama ist nicht da.“
Lucy wirbelte herum und sah sich dem kräftigen Leibwächter gegenüber, mit dem sie auf der Straße aneinandergeraten war. Ausgerechnet!
„Das soll deine Großmutter entscheiden, aber Signora Knight ist gerade erst angekommen und braucht ihre Ruhe.“ Er nickte Lucy kurz zu, nahm die Kleine an die Hand und ging mit ihr davon.
Lucy schlenderte weiter, doch die Idylle hatte ihren Zauber verloren. Rocco hielt es offenbar für nötig, seine Nichte vor ihr in Sicherheit zu bringen!
Traurig lehnte Lucy sich an die Gartenmauer und sah aufs Meer hinaus.
Sie hatte sich schon vor Langem eine harte Schale zugelegt. Aus dem naiven Mädchen war eine Frau geworden, die der Welt mit Argwohn begegnete und die nichts mehr erschüttern konnte. Zumindest hatte sie das geglaubt.
Die Ereignisse der letzten vierundzwanzig Stunden aber hatten sie völlig überrollt.
Die aufdringlichen Reporter. Die Konfrontation mit Domenico Volpe. Die Rückkehr an den Ort, an dem ihr Unglück begonnen hatte. Nicht zu vergessen Sylvias schändlicher Verrat. Und nun musste sie erleben, wie jemand ein Kind vor ihr beschützen zu müssen glaubte. Vor ihr !
Nie wieder, so hatte sie sich geschworen, würde sie so in Angst und Verzweiflung versinken wie damals in der ersten Zeit ihrer Haft.
Wer hätte gedacht, dass sie noch immer so verletzlich war?
Domenico sah Lucy an der Mauer stehen, den Blick in die Ferne gerichtet, die Arme um sich geschlungen.
Ihre Haltung erinnerte ihn daran, wie er Lucy am Vortag in ihrem alten Zimmer vorgefunden hatte. Sie hatte auf dem Boden gekauert wie ein verwundetes Tier. Ihr Anblick hatte etwas in ihm ausgelöst, das er nie für möglich gehalten hätte – den Wunsch, sie zu beschützen.
Um ein Haar wäre er darauf hereingefallen. Dabei hatte sie ihm nur etwas vorgespielt, um ihn von ihrer Unschuld zu überzeugen.
Unschuld? Lucy Knight hatte seinen Bruder auf dem Gewissen!
Irgendwann einmal hatte er sich eingebildet, etwas für sie zu empfinden. Damals, als sie wie ein Sonnenstrahl in sein Leben getreten war. Dann hatte das Schicksal in Form einer furchtbaren Tragödie zugeschlagen und ihm ihr wahres Wesen offenbart.
Ihr Morgenmantel flatterte im Wind, und der dünne Stoff schmiegte sich um ihre sanft gerundeten Hüften. Sie sah alles andere als unschuldig aus.
Im Prozess hatten sowohl Sandros Sicherheitschef als auch Pia ausgesagt, dass Lucy Knight hemmungslos mit Sandro geflirtet und ihn verführt hatte. Lucy hatte daraufhin eine ärztliche Untersuchung verlangt, um zu beweisen, dass sie noch Jungfrau war.
Nach ihrer Äußerung war es im Gerichtssaal ganz still geworden. Alle hatten sie angestarrt, ihren verführerischen Körper und ihr süßes Gesicht mit den großen blauen Augen. Domenico hätte schwören können, dass alle anwesenden Männer davon geträumt hatten, ihr Liebhaber zu sein. Auch er.
Der Richter hatten ihren Antrag abgelehnt, doch mit ihrem genialen Schachzug hatte sie sich vorübergehend einige positive Aufmerksamkeit verschafft. Und Domenico den Beweis geliefert, dass auch der bravste Mann nicht vor ihr sicher war.
Sein Blick glitt zu ihren wohlgeformten Waden und
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