Verfuehrung in Florenz
doch in Gedanken war sie mit ihren eigenen Problemen beschäftigt.
Rein theoretisch passten alle Beweise perfekt zueinander. Die Tatsache, dass Raphael Di Lazaro ihr vor drei Stunden für Nichtstun mehr Geld angeboten hatte als Professor Swanson ihr für ein Jahr harter Arbeit bezahlte, war ein weiterer Grund, an seine Schuld zu glauben. Und dennoch …
Sie hatte hinter die kalte, abweisende Fassade geblickt und dahinter einen Mann gesehen, der weder korrupt noch schlecht war. Raphael Di Lazaro besaß zweifellos Ehrgefühl.
Eve lehnte die Stirn an das kühle Wagenfenster, schloss die Augen und befragte sorgfältig ihr Herz. War es möglich, dass sie sich von Raphael Di Lazaros zweifellos gutem Aussehen und seiner überwältigenden erotischen Ausstrahlung blenden ließ?
Lou hatte vor einem Jahr, noch ehe sie in der Redaktion von Glitterati landete, einen Artikel über Frauen geschrieben, die sich in zum Tode Verurteilte verliebten. Bei etlichen Gläsern Rotwein hatte sie mit Eve in einer Bar in Oxford über dieses Phänomen diskutiert. Damals hatten sie beide nur geringschätzig die Köpfe über Menschen geschüttelt, die ihre Gefühle dermaßen die Oberhand über den Verstand gewinnen ließen.
Litt sie jetzt unter einer ähnlichen Verblendung?
Niemals hätte sie sich eine Macht träumen lassen wie die, die sie in ihren Bann geschlagen und über den Laufsteg geführt hatte – und das so bestimmt und sicher, als hätte Raphael dabei die Arme um sie gelegt. Genauso wenig hatte sie sich ein so ungezügeltes Verlangen vorstellen können, wie es hinter Raphaels kühler Fassade, die er zwischen sich und der Welt errichtete, hervorblitzte. Einmal ganz abgesehen von dem Mut, mit dem er auf die Straße gesprungen war und sie vor dem Unfalltod bewahrt hatte.
Nein! Sie genoss die kühle Berührung der Fensterscheibe an ihrer Stirn, als könnte sie dadurch wieder zu Verstand kommen. Die Tatsachen sprachen für sich. Raphaels Name stand auf dem Zettel genau über dem Wort Drogen. Und er war ihr nach der Pressekonferenz gefolgt und hatte versucht, sie mit Geld zum Schweigen zu bringen.
Eve presste die Finger an die Schläfen und atmete tief durch, um vernünftig denken zu können. Was immer auch ihr Herz empfand: Ihr Verstand sagte ihr klar und deutlich, dass Raphael nach wie vor der Hauptverdächtige war. Sie war nach Florenz gekommen, um Antworten zu finden, und daran hatte sich nichts geändert. Sie hatte nur nicht vorhergesehen, wie schmerzlich es sein würde.
Seufzend lenkte sie die Aufmerksamkeit wieder auf Sienna, die nachdenklich einen ihrer glänzend lackierten Fingernägel betrachtete. „Muss ich mich dafür ausziehen?“, fragte sie soeben ins Handy, wobei Eve allerdings nicht wusste, ob sie gerade mit ihrem Agenten oder ihrem Freund sprach.
Die glamouröse junge Frau sah umwerfend aus. Zu einer hautengen weißen Hose trug sie ein durchscheinendes goldfarbenes Chiffontop, das von einem goldbestickten breiten Halsband gehalten wurde und in weichen Wellen über das Dekolleté floss. Nur Eve wusste, dass es eine halbe Stunde gedauert hatte, mittels Klebeband den perfekten Faltenwurf hinzubekommen, und dass das üppige schwarze Haar in Wahrheit künstlich verlängert war.
Nichts ist, wie es an der Oberfläche wirkt, dachte Eve verbittert.
Mittlerweile waren sie dem Ziel schon so nahe, dass sie an weiteren prominenten Gästen vorbeikamen, die aus ihren Wagen stiegen. Alle hatten sich strikt an das Thema der Veranstaltung gehalten: Gold. Wie glänzende Schmetterlinge flatterten sie über den roten Teppich; die Damen in knappen, aber überaus raffinierten Roben, die Herren mit ihrem sorgfältig auf der Sonnenbank erworbenen Bronzeteint in sündhaft teuren Anzügen.
Da Eves Garderobe nicht mithalten konnte, hatte Sienna ihr etwas aus dem scheinbar unerschöpflichen Vorrat ihrer Sachen angeboten. Da dieses freundliche Angebot jedoch von einem eins achtzig großen Supermodel kam, das vorne flach wie ein Bügelbrett war, hatte Eve dankend abgelehnt.
Zum Schluss musste sie auf die gute alte Jeans und die indischen Sandalen mit Schmucksteinen zurückgreifen. Dazu entschied sie sich für das einzige entfernt metallisch schimmernde Teil aus ihrem Besitz, ein spitzenbesetztes Top aus den Dreißigerjahren, dessen ursprünglich cremefarbene Seide im Lauf der Zeit einen hellen Goldton angenommen hatte. Trotz der Hitze wollte sie eigentlich eine Jacke darüberziehen, doch das hatte Sienna ihr entschieden verboten und sie
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