Verführung in weißer Seide
willst, kannst du dir von Mrs Johannsen die Schlüssel geben lassen.”
Tess brachte keine Antwort heraus, sie stand unter Schock.
“Im November können wir die Scheidung einreichen”, fuhr er fort. “Es tut mir leid, wenn du durch diese Wartezeit dein Leben nicht so führen kannst, wie du es gern möchtest.”
“Das macht nichts.”
Er zögerte mit einer Antwort. “Gut.” Dann räusperte er sich. “Tja …”
Ihr wurde klar, dass er jetzt auflegen würde, und dann würden sie sich wahrscheinlich erst bei ihrer Scheidung wieder sprechen. Bei der Scheidung! Es gab Tess einen Stich ins Herz. “Was den Fluch betrifft”, sagte sie leise. “Hat Professor O’Brian dich deswegen angerufen?”
“Ja. Sie sagt, es sei eine Fälschung.”
Wieso hatte die Professorin ihr nicht gesagt, dass sie mit Cole gesprochen hatte? “Anscheinend denkt sie, du wüsstest, wer diesen Fluch erfunden hat.” Als er nicht antwortete, bohrte sie weiter: “Wie kommt sie darauf?”
“Ich habe, glaube ich, erwähnt, dass ich meine Großtante anrufen wollte.”
“Deine Großtante?”
“Edna. Ich habe sie gefragt, ob sie etwas darüber weiß, dass der Fluch eine Fälschung ist. Sie wusste nichts davon, aber sie erinnerte sich an ein Mädchen der McCrarys, das in einen Westcott-Jungen verliebt war. Es muss um 1920 herum gewesen sein. Sie wollten heiraten, und ihre Familien wollten es nicht. Wir halten es für möglich, dass die beiden die Flüche in die Bibeln geschrieben haben, um ihre Eltern zur Zustimmung zu der Ehe zu bewegen.”
Irgendetwas daran kam Tess unglaubwürdig vor. Zwei Teenager, die in altem Gälisch einen Fluch verfassen? “Was ist dann geschehen?”
“Sie wurden erwachsen und gingen getrennte Wege. Der entscheidende Punkt liegt darin, dass der Fluch nur von diesen Kindern erfunden wurde. Es gab keine Schwarze Magie, mit der eine von Liebesleid und Verzweiflung gezeichnete Seele zwei Familien ins Verderben stürzte.”
Dann brauchte Cole also auch keine Erfüllung zu finden, und seine männlichen Bedürfnisse konnten ihr egal sein.
“Du brauchst dir also keine Gedanken zu machen, Tess”, schloss er sanft. “Unsere Trennung wird keinerlei Folgen haben. Der Fluch ist nicht echt, und nichts wird deswegen unseren Familien zustoßen.”
Nachdenklich blickte sie auf den Diamantring an ihrem Finger, der in der Sonne blitzte. “Ich lasse den Ehering bei dir zu Hause”, flüsterte sie.
“Nein”, entgegnete er barsch. “Behalte ihn, bis wir geschieden sind. Dann kannst du ihn entweder behalten oder verkaufen.”
Mit aller Kraft biss sie sich auf die Lippen. Warum hatte sie sich bloß so sehr in ihn verlieben müssen?
“Vielen Dank, Tess”, brachte er heiser heraus. “Du hast mir geholfen, mein Erbe zu bewahren. Ich wünsche dir alles erdenklich Gute.”
11. KAPITEL
“Ihr seid erst einen Monat verheiratet, und er kommt nicht mit zur Hochzeit deiner Schwester? Hat dein Mr Westcott interessantere Beschäftigungen?”
Beim anklagenden Tonfall ihrer Tante Sophie zuckte Tess zusammen. Sophies Stimme klang so schneidend, dass sie mühelos überall in dem großen Raum zu verstehen war. Als auch andere Gäste sich zu ihnen umdrehten, antwortete Tess entschieden: “Cole ist beruflich immer sehr eingespannt.”
“Ich kann mir schon denken, was er so Dringendes zu tun hat.” Wenigstens sprach Sophie jetzt etwas leiser. “An deiner Stelle würde ich mich scheiden lassen und Phillip heiraten. Der schleicht sich nicht davon und ist die ganze Zeit über geschäftlich unterwegs.”
Ungläubig sah Tess ihre Tante an. Nur weil Phillip jetzt hier war und sich auf der Hochzeit sehen ließ, sprach niemand mehr davon, dass er ein ganzes Jahr über weg gewesen war und sich auf irgendeiner abgelegenen Insel im Namen der Wissenschaft ein schönes Leben gemacht hatte.
Das alles spielte zwar keine Rolle, denn Tante Sophie konnte sagen, was sie wollte. Tess würde an der vereinbarten Geschichte festhalten, so schwer ihr das auch fiel. “Cole ist viel unterwegs, aber es geht uns gut. Und Phillip und ich sind einfach nur gute Freunde.”
“Es war dumm von dir, Phillip wegen Cole Westcott aufzugeben. Er spielt nur mit dir. Die Westcotts sind Meister im Lügen. Von so jemandem darf man sich nicht einwickeln lassen. Denk an meine Worte: Er wird sich von dir scheiden lassen, sobald die Frist verstrichen ist, die ihn von seiner Erbschaft fernhält.”
Innerlich zuckte Tess vor Schmerz zusammen. Im November würde Tante
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