Verfuhrt auf dem Maskenball
dem Kind das dichte schwarze Haar.
„Papa! Runter!“, verlangte Ned. „Papa!“
Tyrell erstarrte und wagte nicht zu atmen.
„Papa!“ Ned stemmte sich gegen seine Brust.
Tyrell ließ ihn zu Boden gleiten. „Rosie!“, stieß er hervor und bemerkte nicht einmal, wie formlos er das Kindermädchen ansprach. „Er hat Papa zu mir gesagt!“
Doch Rosie lächelte nicht. Sie wirkte sehr bleich, und ihre Nase war gerötet, als hätte sie geweint. „Jawohl, Mylord“, sagte sie leise.
Seine Freude über dieses Wunder verflog. Was war los?
Aber er wusste es.
„Wo ist Miss Fitzgerald?“, fragte er.
Sie leckte sich über die Lippen. „Ich weiß es nicht, Sir.“
Einen Augenblick stand er stumm da, dann ging er mit langen Schritten in die Halle und öffnete die Tür zu ihren Gemächern. Das Bett war gemacht, der Schrank stand offen. Er war vollkommen leer.
Er konnte es nicht glauben.
Und dann begann er zu verstehen.
Elizabeth hatte ihn verlassen.
Er fuhr herum, und jeder Herzschlag schmerzte in seiner Brust. „Wann ist sie abgereist?“
„Heute Morgen, Mylord.“
Er starrte sie an, ohne sie zu sehen. Stattdessen sah er Elizabeth vor sich, wie er sie am Morgen gesehen hatte, sah die Furcht in ihren Augen.
Elizabeth hat mich verlassen .
Und dann hörte er einen Laut wie von einem Tier, er hörte, wie Holz zerbarst und Glas zersplitterte, hörte, wie ein Schrei den Raum erfüllte, bis seine Stimme versagte und kein Ton mehr herauskam.
Und dann wurde es still.
Allein und bewegungslos stand Tyrell in der Mitte des Zimmers. Er blickte auf den Schrank hinunter, der jetzt auf der Seite lag, die Tür war abgerissen und zerbrochen. Er betrachtete das Glas auf dem Boden, die kleinen und großen Scherben, die von den Scheiben in der Tür stammten und von dem Spiegel. Er stand da, während Blut von seinen Händen tropfte, und starrte auf die Scherben seines Lebens.
Teil 3
Dezember 1814 –Januar 1815
20. Kapitel
Eine unwahrscheinliche Anziehung
Summend legte Georgie letzte Hand an die Weihnachtsdekoration. Lizzie stand ein Stück abseits und sah ihrer Schwester zu, wie sie sich lächelnd am Kaminsims zu schaffen machte, der mit silbernen und goldenen Bändern geschmückt war und mit vielen Zweigen. Hübsch sieht es aus, dachte Lizzie sachlich. Aber sie war nicht in Festtagslaune.
Im Herbst waren sie nach Londons West End gezogen. Georgina hielt sich so gut wie nie in Eleanors Stadthaus am Belgrave Square auf. Sie verbrachte die Zeit in Buchläden, Museen, Kunstgalerien und bei jeder öffentlichen Debatte, die in der Londoner Times angekündigt war. Lizzie freute sich, dass sich ihre Schwester so wohl fühlte.
Lizzie war es nicht so leicht gefallen, sich einzugewöhnen.
Nachdem sie Wicklow an jenem schrecklichen Sommertag verlassen hatten, waren sie direkt nach Glen Barry gefahren. Zum Glück hatte Eleanor nur einen Blick auf die beiden Schwestern geworfen und sie dann mit offenen Armen willkommen geheißen. Lizzie hatte versucht, ihre Lage zu erklären und gleichzeitig um Verzeihung zu bitten.„Ich habe dich tief in mein Herz geschlossen, Elizabeth“, hatte Eleanor leise gesagt. „Ich verstehe deine Aufregung, und ich frage mich jetzt, ob ich die richtige Entscheidung getroffen hatte.“
Nach London waren sie umgezogen, kurz bevor Tyrell mit seiner Braut wieder in Wicklow eintreffen sollte. Eleanor hatte schon gewusst, dass er im Oktober zurückkehren würde, und entschieden, mit ihrer ganzen Familie das Londoner Stadthaus zu beziehen. Sie hatte gedacht, dass Lizzie ihre Meinung vielleicht ändern würde oder es zu schwer zu ertragen war, ihm so nahe zu sein, denn Wicklow lag nur etwa zwei Stunden von Glen Barry entfernt. Lizzie hatte keine Einwände gehabt. So nahe bei Ned und Tyrell zu leben hätte ihren Kummer nur noch vergrößert.
Erst mehrere Wochen nachdem sie in der Stadt eingetroffen waren, hatten sie gehört, dass die Hochzeit verschoben worden war. Es hatte Lizzie überrascht, dass er noch gar nicht verheiratet war. Allem Anschein nach war Blanche krank gewesen, jetzt würde die Trauungszeremonie im Mai stattfinden.
Lizzie wollte möglichst wenig über diese Angelegenheit nachdenken, denn wenn sie es tat, dann würde sie vielleicht noch glauben, dass dieses Verschieben etwas mit ihr zu tun haben könnte. Gut vier Monate war es her, seit sie Tyrell und ihren Sohn verlassen hatte, und wenn er deswegen in Sorge wäre oder Gefühle für sie hegte, dann hätte sie inzwischen gewiss etwas von
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