Vergangene Schatten
Lippen zitterten. Sie sah klein und verwundbar aus, wie sie so aufrecht im Bett saß, aber auch sehr weiblich in ihrem pinkfarbenen Top. Auf der Schulter hatte sie ein großes Heftpflaster und an der Hand einen weißen Verband.
All das erinnerte ihn schmerzlich daran, wie nahe sie dem Tod gewesen war.
Er schaltete das Licht aus und hörte, wie sie einen leisen Laut des Erschreckens hervorstieß. Dann ging er ins Badezimmer und schaltete auch dort das Licht aus, ehe er zu ihr ans Bett trat, die Decke wegzog und sich neben sie setzte.
Sie lehnte sich mit einem leisen wortlosen Wimmern an ihn, das ihm einen Stich ins Herz gab. Er zog das Kissen ein Stück weit zu sich, legte sich auf den Rücken und nahm sie in die Arme, worauf sie den Kopf auf seine Brust bettete.
Sie roch wieder nach seiner Seife. Es war aber ein anderer Duft als beim letzten Mal, nachdem er die Sorte gewechselt hatte, weil es doch ziemlich lästig war, jedes Mal, wenn man duschte, einen Ständer zu bekommen. Nun duftete sie nach seiner neuen Seife, die er vermutlich ebenfalls bald gegen eine andere würde austauschen müssen.
»Erzählst du mir, was es war?«, fragte er in die Dunkelheit hinein.
Sie erschauderte.
»Okay«, sagte er, während er nur allzu deutlich ihre warmen weichen Kurven spürte. Doch die Frau, die da bei ihm lag, war Carly - und sie war verängstigt und brauchte ihn, also kam es überhaupt nicht in Frage, jetzt auch nur an Sex zu denken, jedenfalls nicht heute Nacht. »Dann machen wir einfach ein Ratespiel daraus. War es einer der alten Albträume oder ein ganz neuer?«
»Es waren die Augen«, sagte sie mit einem Schaudern. »Ich habe von seinen Augen geträumt. Sie haben mich angestarrt. Und dann habe ich von dem Heim geträumt.«
Matt begriff sofort, dass sie die Augen des Kerls meinte, der sie angefallen hatte. Er drückte sie unwillkürlich etwas fester an sich, und sie schmiegte sich noch enger an ihn. Er vergaß immer, wie klein sie eigentlich war, doch wenn er sie so nahe wie jetzt bei sich spürte, konnte ihm ihre Größe unmöglich entgehen. Ihre Füße reichten nur bis zur Mitte seiner Waden hinunter, und es kam ihm so vor, als hätte sie überhaupt kein Gewicht; alles was er spürte, waren ihre Rundungen, ihre Wärme und ihre üppige Weiblichkeit...
Nein, vergiss das.
»Du hast mir nie etwas von dem Heim erzählt. Du warst ja nicht lange dort, nicht wahr? Eine Woche? Oder zwei?« Er fragte nach dem Heim, weil er dachte, dass ihr das vielleicht angenehmer war, als an den Bastard zu denken. Allein die Vorstellung, dass Carly irgendjemandem hilflos ausgeliefert war, der viel größer und stärker war als sie, ließ ihn in Gedanken zum Mörder werden. Wenn es nach ihm ging, so sollte sie am besten gar nicht mehr an die Sache denken.
»Acht Tage.«
»Aber was ist da passiert, dass du nach so vielen Jahren immer noch Albträume davon hast? Haben sie dich schlecht behandelt? Oder gar misshandelt?«
Er spürte, wie Carly den Kopf schüttelte und sich der Griff ihrer Hand an seiner Schulter verstärkte. Man konnte nicht sagen, dass sie ihn umarmte - es war eher so, als würde sie sich in großer Bedrängnis an ihn klammern.
»Curls?«, fragte er. Er nannte sie absichtlich so, wie um sich selbst daran zu erinnern, dass sie wie ein alter Kumpel für ihn war, das Mädchen, das ihm einst in ihrer Kindheit überallhin nachgelaufen war. Am Anfang war sie ihm ziemlich lästig gewesen, doch auch später, als er den kleinen Quälgeist lieb gewonnen hatte, wäre es ihm nicht im Traum eingefallen, dass er eines Tages neben ihr liegen und sich geradezu nach ihr verzehren könnte.
»Sie waren recht nett zu mir«, sagte sie mit zittriger Stimme und schmiegte sich noch enger an ihn. »Aber ich hatte Angst. Ich war erst acht Jahre alt und vermisste meine Mutter so sehr. Und ich hatte ja keine Ahnung, warum sie mich von unserer Nachbarin weggebracht hatten, die ja auf mich aufpassen sollte, bis meine Mutter zurückkam. Und es hat sich auch niemand die Mühe gemacht, es mir zu erklären. Wahrscheinlich haben sie gedacht, ich wäre noch zu jung, um es zu verstehen. Aber es war nicht so schlimm in dem Heim, es gab genug zu essen, jeder hatte sein eigenes Bett und einen kleinen Schrank für seine Sachen - nicht dass ich viel gehabt hätte und wir durften auch hinausgehen. Da war ein großer Garten hinter dem Haus, und ein Schuppen und ein paar Tiere. Sie hatten sogar einen Esel, der hat andauernd IA gemacht.«
Sie hielt inne und
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