Vergessene Stimmen
sagte Bosch.
Die Lichter am Heck des Abschleppwagens blendeten stark, und einem Angriff wären sie ungeschützt ausgesetzt. Auf der Vorderseite des Wagens konnte er niemanden sehen. Damit er und Rider nicht so dicht beisammen waren, rückte er ein Stück nach rechts. Rider konnte nicht weiter nach links ausweichen, weil sie sonst auf der Fahrbahn hätte gehen müssen.
Auf der Rampe rauschte ein Sattelschlepper vorbei, der sie mit einem dieselgetränkten Luftstoß und einem Schwall aus Lärm überschüttete und den Boden erzittern ließ wie ein Erdbeben. Bosch ging inzwischen in dem Gras, das auf der Böschung neben dem Seitenstreifen wuchs. Noch immer konnte er niemanden sehen.
Bosch und Rider sprachen nicht miteinander. Der Verkehrslärm vom Freeway wurde von der Unterseite der Überführung verstärkt zurückgeworfen. Inzwischen hätten sie schreien müssen, und das hätte ihre Konzentration gestört.
Als sie den Abschleppwagen erreichten, kamen sie wieder zusammen. Bosch sah ins Führerhaus, aber von Mackey fehlte jede Spur. Der Motor lief noch. Er ging ans Heck zurück und sah auf den von den Hecklichtern beleuchteten Boden. Schwarze Reifenspuren führten in einem Bogen auf das Heck des Abschleppwagens zu. Und auf dem Kies lag einer der mit Ölflecken übersäten Lederhandschuhe, die er Mackey hatte tragen sehen.
»Kann ich die mal kurz haben«, sagte er und nahm Rider die Taschenlampe aus der Hand. Es war eins der kurzen Modelle aus Gummi, die vom Polizeichef eingeführt worden waren, nachdem ein Video in Umlauf gekommen war, auf dem ein Polizist mit einer der schweren alten Stablampen auf einen Verdächtigen einschlug.
Bosch richtete die Taschenlampe auf das Heck des Abschleppwagens und leuchtete auf seinen unteren Teil, der im Schatten der grellen Heckbeleuchtung lag.
Auf dem dunklen Stahl blitzte Blut auf. Es war nicht mit Öl zu verwechseln. Es war so rot und echt wie das Leben. Bosch ging in die Hocke und leuchtete unter den Abschleppwagen, wo das Dunkel wegen des grellen Lichts darüber noch undurchdringlicher war.
Mackey lag gegen das Hinterachsdifferenzial gekrümmt. Eine Hälfte seines Gesichts war von einem langen und tiefen Schnitt auf der linken Seite seines Kopfs von Blut überströmt. Die Brust seines blauen Uniformhemds war von anderen, nicht erkennbaren Verletzungen braun verfärbt. Der Schritt seiner Hose wies Flecken von Blut oder Urin oder beidem auf. Der Unterarm des Arms, den Bosch sehen konnte, stand in einem unnatürlichen Winkel ab, und aus dem Fleisch ragte gezackter, elfenbeinweißer Knochen hervor. Der Arm war um Mackeys Brust gelegt, die sich unregelmäßig hob und senkte. Er lebte noch.
»O Gott!«, stieß Rider hervor, die hinter Bosch stand.
»Ruf einen Krankenwagen!«, wies Bosch sie an, als er unter den Abschleppwagen zu kriechen begann.
Er hörte Riders Sohlen auf dem Kies knirschen, als sie zum Auto zurücklief, wo das Funkgerät war. Er selbst kroch so dicht an Mackey heran, wie er konnte. Ihm war klar, dass er vielleicht wichtige Spuren zerstörte, aber er musste nah an ihn ran.
»Ro, können Sie mich hören? Ro, wer war das? Was ist passiert?«
Bei der Nennung seines Namens schien Leben in Mackey zu kommen. Sein Mund begann sich zu bewegen, und bei dieser Gelegenheit konnte Bosch erkennen, dass sein Unterkiefer gebrochen oder ausgerenkt war. Die Bewegungen waren unkoordiniert. Es sah aus, als müsste Mackey erst ausprobieren, wie er funktionierte.
»Lassen Sie sich Zeit, Ro. Sagen Sie mir, wer es war. Haben Sie ihn gesehen?«
Mackey flüsterte etwas, aber ein Auto, das auf der Rampe vorbeirauschte, übertönte es.
»Noch mal, Ro. Sagen Sie es noch mal.«
Bosch kroch vorwärts und hielt seinen Kopf ganz dicht an Mackeys Mund. Was er hörte, war halb ein Luftschnappen, halb ein Flüstern.
»… sworth …«
Er wich zurück und sah Mackey an. In der Hoffnung, es möchte seine Lebensgeister wecken, richtete er die Taschenlampe auf sein Gesicht. Er sah, dass auch die Knochen um Mackeys linkes Auge zertrümmert waren und dass er dort heftig blutete. Er würde nicht durchkommen.
»Ro, wenn Sie was zu sagen haben, sagen Sie es jetzt. Haben Sie Rebecca Lost umgebracht? Waren Sie an dem Abend dabei?«
Bosch beugte sich wieder vor. Falls Mackey etwas sagte, ging es im Rauschen eines vorbeifahrenden Autos unter. Als Bosch wieder zurückwich, um ihn anzusehen, schien er tot. Bosch hielt zwei Finger an die Seite von Mackeys blutüberströmtem Hals und konnte keinen
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