Vergessene Stimmen
und entsteigen ihr, stinkend wie eine Rose. Glückwunsch.«
Bosch nickte. Das war eine zutreffende Einschätzung.
»Und bei Ihnen, Chief? Eine weitere Woche im Büro?«
Irving antwortete nicht. Bosch dachte an die Orte, an denen er am Abend zuvor nach Robert Lost gesucht hatte. Er dachte an Muriel Losts Gesicht, als sie gesehen hatte, wie der Mörder ihrer Tochter zum Streifenwagen geführt wurde. Bosch hatte Stoddard schleunigst auf den Rücksitz verfrachten müssen, um sie von ihm fern zu halten.
»Und alles nur Ihretwegen«, sagte Bosch ruhig.
Irving sah ihn zum ersten Mal an.
»Wie bitte?«
»Ich rede von den siebzehn Jahren. Sie haben einen Ihrer Leute die Alibis der Eights überprüfen lassen. Er wusste nicht, dass Gordon Stoddard auch der Lehrer des Mädchens war. Hätten Green und Garcia die Alibis überprüft – wie es sich gehört hätte –, wären sie auf Stoddards Namen gestoßen und hätten sich den entsprechenden Reim darauf gemacht. Vor siebzehn Jahren. Diese lange Zeit geht auf Ihr Konto.«
Irving drehte sich auf seinem Sitz herum, um Bosch anzusehen.
»Wir hatten eine Abmachung, Detective. Wenn Sie das an die große Glocke hängen, werde ich andere Möglichkeiten finden, es Ihnen heimzuzahlen. Das ist Ihnen doch hoffentlich klar.«
»Ja, klar, wenn Sie das sagen, Chief. Nur vergessen Sie dabei eines. Ich bin nicht der Einzige, der über Sie Bescheid weiß. Was wollen Sie dann machen? Mit jedem Ihre kleinen Deals machen? Mit jedem Reporter, jedem Cop? Mit jeder Mutter und jedem Vater, die wegen dem, was Sie getan haben, ein entleertes Leben leben mussten?«
»Nicht so laut«, zischte Irving.
Bosch antwortete mit ruhiger, gemessener Stimme. »Ich habe alles gesagt, was ich Ihnen sagen wollte.«
»Na schön, dann will auch ich Ihnen noch was sagen. Ich bin noch nicht mit Ihnen fertig. Wenn ich herausfinde …«
Er brach mitten im Satz ab, als der Polizeichef mit seiner Frau an ihnen vorbeigeführt wurde. Irving nahm eine aufrechtere Haltung ein, als die Musik lauter wurde und die Veranstaltung begann. Vierundzwanzig Kadetten mit blitzenden neuen Dienstmarken an ihren Uniformen marschierten auf den Paradeplatz und nahmen vor dem VIP-Zelt Aufstellung.
Es gab zu viele einleitende Reden. Dann dauerte die Inspektion der neuen Polizisten zu lange. Doch schließlich kam der Höhepunkt der Veranstaltung, die traditionelle Ansprache des Polizeichefs. Der Mann, der Bosch in den Polizeidienst zurückgeholt hatte, war am Rednerpult entspannt und locker. Er sprach von einer inneren wie äußeren Neugestaltung der Polizei, und dass er mit den vierundzwanzig neuen Polizisten, die jetzt vor ihm stünden, damit beginnen wolle. Er sagte, er meine damit eine Neugestaltung des Images und der Arbeitsweise der Polizei. Er sagte viele der Dinge, die er am Montagmorgen zu Bosch gesagt hatte. Er legte den frischgebackenen Polizisten ans Herz, niemals das Gesetz zu brechen, um das Gesetz durchzusetzen, und ihren Dienst immer in Einklang mit der Verfassung und voll Mitgefühl zu versehen.
Doch mit dem Schluss seiner Rede überraschte er Bosch.
»Zu guter Letzt möchte ich Sie um Ihre Aufmerksamkeit für zwei Männer bitten, die heute hier meine Gäste sind. Der eine von ihnen kommt, der andere geht. Detective Harry Bosch ist diese Woche nach ein paar Jahren im Ruhestand in den Polizeidienst zurückgekehrt. Wahrscheinlich ist ihm in diesem verlängerten Urlaub klar geworden, dass man einem alten Hund keine neuen Kunststücke mehr beibringen kann.«
Von der Menge auf der anderen Seite des Paradeplatzes kam höfliches Gelächter. Dort saßen die Angehörigen und Freunde der Kadetten.
Der Chief fuhr fort. »Deshalb ist er in den Schoß der LAPD-Familie zurückgekehrt und hat sich dort bereits von seiner besten Seite gezeigt. Er hat sich zum Wohl der Allgemeinheit dem Unrecht entgegengestellt. Gestern haben er und seine Partnerin einen siebzehn Jahre zurückliegenden Mord aufgeklärt, der wie ein Stachel im Fleisch dieser Allgemeinheit steckte. Wir heißen Detective Bosch wieder bei uns willkommen.«
Aus der Menge kam vereinzelter Applaus. Bosch spürte, wie ihm heiß im Gesicht wurde. Er blickte auf seine Hände hinab.
»Außerdem möchte ich Deputy Chief Irvin S. Irving danken, dass er heute hier bei uns ist«, fuhr der Polizeichef fort. »Chief Irving hat fast fünfundvierzig Jahre bei der Polizei von Los Angeles gedient. Im Moment gibt es bei uns keinen Officer, der länger gedient hat. Sein Entschluss,
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