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Vergessene Stimmen

Titel: Vergessene Stimmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Connelly
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heute in den Ruhestand zu treten und diesen feierlichen Anlass zu der letzten Amtshandlung zu machen, bei der er noch seine Dienstmarke trägt, ist ein würdiger Abschluss seiner Laufbahn. Wir danken ihm für die Dienste, die er für die Polizei und für die Stadt Los Angeles geleistet hat.«
    Der Beifall für Irving war anhaltend und wesentlich lauter. Leute begannen, zu Ehren des Mannes aufzustehen, der der Polizei und der Stadt so lang gedient hatte. Bosch drehte sich etwas nach rechts, sodass er Irvings Gesicht sehen konnte, und in dem Moment, in dem er die Augen des Deputy Chief sah, wusste er, dass er darauf nicht vorbereitet gewesen war. Er war ausgetrickst worden.
    Bald standen alle und klatschten, und Bosch fühlte sich veranlasst, für einen Mann, den er verachtete, das Gleiche zu tun. Er wusste genau, wer Irvings Sturz inszeniert hatte. Wenn Irving Einspruch erhob oder in irgendeiner Form versuchte, seinen Posten einzuklagen, müsste er mit einer von Kizmin Rider eingereichten Dienstaufsichtsbeschwerde rechnen. Und es bestand kein Zweifel, wer in diesem Fall den Kürzeren zöge. Überhaupt kein Zweifel.
    Bosch wusste allerdings nicht, wann es geplant worden war. Er musste daran denken, wie Rider in Zimmer 503 an ihrem Schreibtisch gesessen und mit Kaffee auf ihn gewartet hatte, schwarz, wie er ihn mochte. Hatte sie damals schon gewusst, zu welchem Fall der kalte Treffer gehörte und wozu er führen würde? Er erinnerte sich an das Datum des DOJ-Berichts. Es hatte zehn Tage vor dem Tag gelegen, an dem er ihn gelesen hatte. Was war in diesen zehn Tagen passiert? Was hatten sie für seine Rückkehr in den Polizeidienst geplant?
    Bosch wusste es nicht, und er war auch nicht sicher, ob er es wissen wollte. Polizeipolitik wurde im sechsten Stock gemacht. Bosch war in Zimmer 503, und dort sah er auch seinen Platz. Keine Frage.
    Als der Polizeichef fertig war, trat er vom Mikrofon zurück. Er überreichte den Kadetten, einem nach dem anderen, ein Abschlussdiplom und schüttelte jedem für ein Foto die Hand. Alles lief sehr schnell und reibungslos und perfekt choreographiert ab. Drei Polizeihubschrauber knatterten im Formationsflug über den Paradeplatz, und die Kadetten beendeten die Feier, indem sie ihre Mützen in die Luft warfen.
    Bosch dachte an die Zeit vor über dreißig Jahren zurück, als er seine Mütze in die Luft geworfen hatte. Bei der Erinnerung musste er lächeln. Von seinem Jahrgang war keiner mehr dabei. Sie waren entweder tot oder pensioniert oder ausgebrannt. Es lag an ihm, die Fahne und die Tradition hochzuhalten. Den guten Kampf zu kämpfen.
    Als die Feier zu Ende ging und die Gäste auf den Platz stürmten, um den frischgebackenen Polizisten zu gratulieren, beobachtete Bosch, wie Irving aufstand und über den Paradeplatz direkt zum Ausgang ging. Er blieb bei niemandem stehen, nicht einmal bei denen, die ihm zum Glückwunsch oder zum Dank die Hand reichen wollten.
    »Sie haben eine ereignisreiche Woche hinter sich, Detective.«
    Bosch drehte sich um. Es war der Polizeichef. Bosch nickte. Er wusste nicht, was er sagen sollte.
    »Danke, dass Sie gekommen sind«, sagte der Chief. »Wie geht es Detective Rider?«
    »Sie hat sich den Tag freigenommen. Sie hat gestern aus nächster Nähe einen abgekriegt.«
    »Das habe ich gehört. Wird einer von Ihnen an der heutigen Pressekonferenz teilnehmen?«
    »Also, sie hat frei, und ich hätte gern geschwänzt, wenn Sie nichts dagegen haben.«
    »Darum kümmern wir uns schon. Wie ich sehe, haben Sie die Story bereits der Daily News gegeben. Jetzt wollen alle anderen sie auch haben. Wir müssen eben die übliche Zirkusnummer abziehen.«
    »Das war ich der News -Reporterin schuldig.«
    »Ja, verstehe.«
    »Werde ich noch einen Job haben, wenn sich der Staub gesetzt hat, Chief?«
    »Natürlich, Detective Bosch. Wie bei jedem Ermittlungsverfahren mussten auch bei diesem Entscheidungen getroffen werden. Schwere Entscheidungen. Sie haben die beste Entscheidung getroffen, die Sie treffen konnten. Es wird eine Untersuchung geben, aber ich glaube nicht, dass Sie Probleme kriegen werden.«
    Bosch nickte. Fast hätte er sich bedankt, entschied sich aber dagegen. Er sah den Polizeichef nur an.
    »Gibt es noch etwas, was Sie mich fragen wollten, Detective?«
    Bosch nickte wieder.
    »Ich habe mir so meine Gedanken gemacht.«
    »Worüber?«
    »Den Anstoß zu diesen Ermittlungen gab ein Schreiben des Justizministeriums, und dieses Schreiben war schon alt, als es zu mir kam.

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