Vergib uns unsere Sünden - Thriller
nicht anders, als die Spiegeltür des Wandschranks vor seiner Nase zu öffnen, auch wenn es ihm Schauer über den Rücken jagte und die Härchen im Nacken sich aufstellten. Er spürte eine Schweißperle, die sich vom Haaransatz aus auf den Weg zur Augenbraue machte. Als sie die Nasenwurzel erreicht hatte, wischte er sie weg. Er fühlte sich losgelöst von seinem Körper, als schaute er jemandem zu, dem sein eigenes Spiegelbild unheimlich war.
Er wusste, dass er es nicht tun durfte, aber etwas in ihm, tief in ihm, trieb ihn dazu, die Schranktür zu öffnen und einen Blick hineinzuwerfen. Seine Fingerspitzen berührten die kalte Oberfläche des Griffs. Er zog ganz leicht daran. Mit einem kaum hörbaren Geräusch sprang die Tür auf.
Mit der linken Hand öffnete er die Tür einen Spaltbreit und spähte hinein.
Anacin. Excedrin. Eine Tube Ben-Gay. One-a-day-Multivitaminkapseln. Ein Fläschchen Formel 44. Ein Päckchen Halspastillen. Chlor-Mundspülung. Eine Tube Zahnpasta.
Und ganz hinten, im zweiten Regal von oben, eine braune Plastikhaarbürste. Er griff in das Schränkchen und hob sie an einer ihrer Borsten vorsichtig heraus. Dann stand er da, die Bürste in der Hand. Er wollte nicht hinschauen. Aber es war wie ein Zwang. Ein Gefühl, als wäre er im Begriff, die größte Sünde aller Zeiten zu begehen. Er drehte die Bürste um ihren Griff, langsam, bis der Griff im Licht von oben klar und deutlich zu sehen war. Es gab keinen Zweifel. Ein deutlicher Teilabdruck, sogar mehrere, waren auf dem glatten Griff der Bürste zu erkennen.
Miller stockte der Atem. Er ließ die Bürste in das Becken fallen, sie hüpfte klappernd um den Abfluss herum, kam zur Ruhe. Jäh streckte er die Hand zum Spülkasten aus und betätigte die Klospülung. Er erschrak vor dem plötzlichen Rauschen des Wassers. Nach kurzem Zögern zog Miller ein Taschentuch aus der Jackentasche, hob die Bürste wieder an ihren Borsten hoch, wickelte sie in das Taschentuch und steckte sie sich in die Innentasche. Er blieb noch einen Moment dort stehen, das Herz polternd, die Nerven zum Zerreißen gespannt. Eine leichte Übelkeit stieg ihm in die Brust. Er meinte, sich auf der Stelle übergeben zu müssen. Er wusch sich die Hände, trocknete sie sich wütend an einem Handtuch ab, das über einer Stange neben dem Waschbecken hing, dann öffnete er die Tür.
»Alles in Ordnung?«
Miller erschrak.
Robey stand direkt vor der Tür, als hätte er das Ohr ans Türblatt gepresst und sei aus Angst vor Entdeckung plötzlich zurückgetreten.
»Ja«, antwortete Miller hastig. »Ja, ja, alles okay, ich bin … etwas müde.«
Robey nickte verständnisvoll. Er trat zurück, um Miller vorbeizulassen, dann begleitete er ihn zur Wohnungstür. Er öffnete sie, und bevor er auf die Seite trat, um Miller hinauszulassen, drehte er sich um und sagte: »Vielleicht unterhalten wir uns bald weiter, Detective Miller. Diesmal hat Ihre Gesellschaft mich gefreut.«
Miller streckte ihm die Hand entgegen, und er schlug ein.
»Tut mir leid, dass ich Ihnen keine größere Hilfe bin.«
»Zumindest war es interessant«, sagte Miller. »Gute Nacht.« Er trat an Robey vorbei auf den Flur hinaus.
»Fahren Sie vorsichtig, Detective«, sagte Robey und schloss die Tür hinter ihm.
38
Miller hatte Mühe, sich auf die Fahrt in die Pierce Street zu konzentrieren. Er hatte Robey nicht gefragt, woher er Sarah Bishops Trainer kannte; und er hatte auch vergessen, ihn noch mal nach dem Nachmittag des 11. November zu fragen. Morgen früh würde er Lassiter und Nanci Cohen gegenübersitzen, und was sollte er denen erzählen?
Dass er Robey die Haarbürste aus dem Spiegelschrank geklaut hatte?
Er fuhr an den Randstein, ließ das Seitenfenster herunter und atmete ein paarmal tief durch. Eine Welle der Übelkeit trieb ihm den Schweiß aus den Poren.
Nach zehn oder fünfzehn Minuten fuhr er das Fenster wieder hoch, ließ den Motor an und setzte die Fahrt in die Pierce Street fort.
Marilyn Hemmings wollte gerade gehen. »Ein später Gast?«, fragte sie.
Miller nahm das Taschentuch aus der Innentasche und klappte es vor ihren Augen auseinander.
»Wem gehört das?«, fragte sie.
Miller schüttelte den Kopf
»Wissen Sie es nicht, oder wollen Sie es mir nicht sagen?«
»Letzteres.«
»Sie wissen es also.«
»Ja.«
»Und wissen die, dass Sie es haben?«
»Sie werden es bald wissen.«
»Und was soll ich damit machen?«
»Können Sie Fingerabdrücke von dem Ding nehmen?«
Hemmings schaute
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