Vergib uns unsere Sünden - Thriller
noch zu Zalman, oder etwa nicht, Zalman? Ich sag noch, jetzt ist er weg. Robert hat’n Mädchen gefunden, und jetzt ist er weg. Hab ich gesagt.« Harriet schenkte Kaffee nach. Es war fast ein Uhr mittags am Samstag, dem
18. November. Miller hatte bis gegen zwölf Uhr geschlafen, nach dem Aufstehen geduscht und sich noch eine halbe Stunde lang in der Wohnung aufgehalten, ehe er runter in den Laden gegangen war. Dort hatte er die erwartungsgemäß einsetzende Kaskade von Fragen über sich ergehen lassen. Wo sind Sie die ganze Zeit gewesen? Wie sehen Sie denn eigentlich aus? Und überhaupt, können Sie sich nicht anständig rasieren, wenn Sie morgens aufstehen? Und wovon haben Sie sich die ganze Zeit ernährt? Doch sicher nur von Junkfood und Coca-Cola, geben Sie’s nur zu! Das ging so lange weiter, bis er Harriet Shamir in die Arme nahm und ganz fest drückte.
»Ich bin Detective bei der Washingtoner Polizei«, flüsterte er ihr ins Ohr. »Oben in der Schublade habe ich mein Schießeisen liegen, und wenn Sie nicht sofort mit dem Verhör aufhören, gehe ich hoch und hole es …«
Harriet befreite sich aus der Umarmung, schlug ihm ein paarmal mit dem Holzlöffel auf die Schulter und forderte ihn auf, sich endlich hinzusetzen, die Klappe zu halten und lieber mal seine guten Manieren rauszuholen, das Essen wäre gleich auf dem Tisch. »Ha, gehen Sie nur - gehen Sie Ihr blödes Schießeisen nur holen … Hast du gehört, was er zu mir gesagt hat, Zalman?«
»Ich habe gehört, was er zu dir gesagt hat«, antwortete Zalman.
»Dann sag doch auch mal was!«
»Wollte ihm gerade anbieten, dass ich es für ihn holen gehe.«
Miller lachte. »Sehen Sie«, sagte er. »Wir Männer halten zusammen.«
»Ja, vor allem ihr zwei«, sagte Harriet. »Wie Scheiße am Schuh.«
»Himmel, Harriet, was ist das für eine Sprache!«
»Was wohl für eine? Ich sage es, wie es ist. Und nun haltet
endlich die Klappe - das gilt für euch beide«, fügte sie so laut hinzu, dass Zalman es vorn im Laden hören musste.
Harriet brachte den Kaffee, setzte sich einen Moment zu Miller, legte ihre Hand auf seine.
»Nun erzählen Sie doch mal«, sagte sie. »Die Sache, an der Sie gearbeitet haben, ist die erledigt?«
»Im Grunde, ja«, bestätigte Miller.
»Ja oder nein? Im Grunde, ja? Was soll das denn heißen?«
»Der Fall ist an jemand anderen übergeben worden.«
»Weil Sie nicht ordentlich genug gearbeitet haben? Bestimmt waren Sie zu schlapp, weil Sie immer so ungesundes Zeug essen und nicht genug Schlaf kriegen, stimmt’s?«
Miller schüttelte den Kopf. »Im Gegenteil. Weil ich zu ordentlich gearbeitet habe.«
Auf Harriets Gesicht erschien ein breites Lächeln. »Sieh mal einer an, dann scheint es ja dort, wo Sie arbeiten, doch jemanden mit Verstand zu geben. Hab ich Ihnen nicht immer schon gesagt, dass Sie zu viel arbeiten?«
»So hab ich das nicht gemeint«, erklärte Miller, und auf einmal spürte er etwas, eine leise, fast paranoide Ängstlichkeit. Als würde alles, was er von nun an über diesen Fall sagte, von anderen Leuten mitgehört und analysiert. Dabei war er ausgeschlafen. Er fühlte sich besser, er musste zwar unbedingt etwas essen, keine Frage, aber seine Gedanken waren auf jeden Fall klarer und besser sortiert als noch am Abend vorher. Der Fall Robey war ihnen quasi unter den Augen weggezaubert und von Leuten entrissen worden, die er nicht kannte, nie kennenlernen würde. Miller wollte gar nicht versuchen, das zu verstehen, er wünschte sich nur etwas mehr innere Distanz. Er wollte endlich wieder mit Leuten zusammen sein, die nichts über Catherine Sheridan oder John Robey wussten, oder darüber, wie die Regierung dem Land in den Achtzigern und Neunzigern zu einer hausgemachten Crack-Epidemie verholfen hatte …
»Und wie haben Sie’s gemeint?«, fragte Harriet.
»Darüber darf ich nicht sprechen.«
»Aber die Sache ist für Sie doch vorbei, sagen Sie. Ich weiß wohl, dass ich versprochen habe, Sie nicht über Ihre Arbeit auszufragen, solange Sie noch an einem Fall arbeiten, aber wenn das hier doch jetzt erledigt ist …«
»Der Fall ist ja nicht erledigt«, sagte Miller. »Er ist nur von einem anderen Team übernommen worden.«
»Aber nicht, weil Sie nicht tüchtig genug waren.«
»Nein.«
»Warum dann? Etwa weil jemand fürchtet, dass Sie etwas herausfinden könnten?«
Unwillkürlich zuckte Miller bei diesen Worten zusammen. Gleichzeitig war ihm bewusst, dass er damit eine verräterische Reaktion gezeigt
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