Vergib uns unsere Sünden - Thriller
muss sich nur die
Schwarzen ansehen oder den Krieg zwischen Israel und Palästina, oder Korea oder Vietnam. Die Amerikaner waren immer mittendrin … Es ist immer noch derselbe Krieg, das geht doch alles immer so weiter, das eine Jahrzehnt und das nächste Jahrzehnt und dann noch ein Jahrzehnt …«
Harriet blickte erst auf, als Zalman in der Tür erschien. »Was haben Sie jetzt angeleiert?«, fragte er Miller. »Doch nicht etwa das Thema Politik?«
Miller musste lächeln.
Harriet blickte hingegen finster drein. »Scher dich weg«, befahl sie ihrem Mann. »Das hier ist eine vertrauliche Unterredung.«
Miller hört Zalman etwas vor sich hin brummeln und wieder nach vorn schlurfen.
»Die bestgehüteten Geheimnisse sind die, die offen zutage liegen«, sagte Harriet.
Miller zog seine Augenbrauen hoch. »Puuh, das lappt ja ins Philosophische …«
»Wie, was heißt das jetzt? Machen Sie sich über mich lustig?«
»Nein, ich mache mich nicht lustig.«
»Dann hören Sie mir mal zu. Man muss sich nur umsehen. Die meisten Leute haben Angst, über das zu reden, was direkt vor ihrer Nase ist.«
»Okay, es ist genug, das war ohnehin schon zu viel für mich«, sagte Miller. »Auf solche Gespräche war ich heute einfach nicht eingerichtet.«
»Und warum haben Sie mir dann alles erzählt?«
»Mein Gott, Harriet, Sie haben mir doch keine Wahl gelassen.«
»Keine Wahl?« Harriet lachte laut auf. »Die Geschichte steht Ihnen ins Gesicht geschrieben«, sagte sie. »Sie kommen hier runter, als würde das Gewicht der Welt auf Ihren Schultern lasten, und Ihr Blick schreit förmlich: ›Fragt mich, fragt
mich danach, was alles schiefläuft …!‹ Glauben Sie denn, ich merke so etwas nicht?«
Miller gab keine Antwort. In seinem Bauch meldete sich schon wieder dieses Gefühl, eine Mischung aus Furcht und Frustration. Er wusste allerdings nicht, ob diese Beklommenheit sich eher auf das bezog, was er vielleicht noch herausfinden würde, oder mehr darauf, dass er seinen Job und schlimmstenfalls sein Leben riskierte, wenn er der Sache weiter nachging. Gleichviel, das spielte jetzt keine Rolle mehr. Er wusste, dass es keinen anderen Weg gab. Er hatte genug Leichen im Keller, es mussten nicht noch mehr werden. Es war wie bei Brandon Thomas - er wusste seinen Teil. Und wenn es nur ein kleines Geheimnis war, blieb es ein Geheimnis. Jeder hatte seine Dämonen. John Robey. Catherine Sheridan. Und wer immer da draußen unterwegs war und Leute hinrichtete …
Sie waren da draußen unterwegs, und Miller wusste, dass er etwas dagegen tun musste.
»Jetzt essen Sie erst mal mit uns«, unterbrach ihn Harriet in seinen Gedanken, »und dann überlegen Sie sich in aller Ruhe, was Sie als Nächstes tun wollen, okay?«
»Okay«, antwortete Miller, und sie standen beide vom Tisch im Hinterzimmer auf und gingen nach vorn in den Laden.
52
Miller fuhr nicht bei Roth in Old Downtown Ecke E Street und Fifth vorbei. Und er rief ihn auch nicht an, um sich nach seiner Meinung zu erkundigen - denn dazu blieb keine Zeit mehr.
Nachdem Miller mit den Shamirs zu Mittag gegessen hatte, ging er in seine Wohnung hoch, um sich zu rasieren und
frisch zu machen, und um kurz vor drei Uhr klingelte sein Handy. Ohne nachzudenken, ohne einen Blick auf die Nummer des Anrufers auf dem Display zu werfen, nahm er das Handy von der Kommode neben seinem Bett und meldete sich: »Ja?«
»Fahren Sie in die Projects.«
»Wer spricht da?« Die Stimme klang vertraut.
»Mund halten und zuhören …«
»Robey?« Miller stockte der Atem. In einem ersten Impuls hätte er das Telefon am liebsten in die Ecke geworfen.
»Fahren Sie in die Projects. Dort wartet ein Diplomat auf Sie.«
»Was? Ein Diplomat? Wieso ein Diplomat?«
Die Verbindung brach ab.
»Robey? Robey!« Miller rief ins Telefon, obgleich er wusste, wie sinnlos das war. Im Menü seines Displays rief er schnell die Funktion »Eingegangene Anrufe« auf, aber die verriet nichts weiter als »Anruf 1«.
So stand Miller da, das Telefon in der Hand, unfähig, sich zu bewegen.
Fahren Sie in die Projects. Dort wartet ein Diplomat auf Sie.
Was zum Teufel sollte das heißen? Die Projects? Wo Natasha Joyce gelebt hatte? Das Sozialsiedlungsprojekt? Und was für ein Diplomat? Was zum Henker hatte das jetzt wieder zu bedeuten?
Schnell zog sich Miller fertig an, nahm ein frisches Hemd, Schuhe und Jackett. Aus der Nachttischschublade holte er Dienstwaffe und Dienstausweis sowie seinen Pieper und verließ die Wohnung. Er nahm
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