Vergiftet
wirklich …« Ein zufriedenes Zucken umspielt seine Mundwinkel. Er steckt die Hand in seinen Rucksack, nimmt zwei identische Kästchen in der Größe von Streichholzschachteln heraus und stellt sie auf den Tisch.
»Was ist das?«, fragt Redzepi.
Mjønes legt seinen Zeigefinger auf das erste Kästchen.
»Piercingnadeln«, sagte er.
»Und das andere?«
Mjønes grinst breit und öffnet das Kästchen. »Das willst du nicht wirklich wissen.« Mit andächtigen Bewegungen holt er eine Ampulle mit einem kleinen Plastikdeckel heraus. Er nimmt den Deckel ab, fischt eine Piercingnadel aus dem ersten Kästchen und tunkt sie vorsichtig in die klare Flüssigkeit. Dann hält er die Spitze der Nadel hoch. Sie glänzt. »Will jemand die Ehre haben?«, fragt er, sieht in die Runde und nickt dann in Richtung der Katze. Ihre Blicke sind sofort hellwach. Er sieht sie der Reihe nach an.
»Durim«, sagt er schließlich. Redzepi grinst und steht auf.
Mjønes streckt ihm die Hand hin. »Sei vorsichtig.«
Redzepi tritt einen Schritt zurück und achtet besonders darauf, nicht die Spitze zu berühren.
»Keine Fehler dieses Mal.« Mjønes sieht ihn lange an.
Auf Redzepis Stirn haben sich feine Schweißtropfen gebildet, und seine Finger haben die Nadel so fest umklammert, dass seine Fingerknöchel weiß hervortreten. Ruhig geht er auf den Käfig zu. Die anderen hinter ihm stehen auf und schieben sich heran. Redzepis Blick ist höchst konzentriert. Er öffnet den Käfig, wirft einen Blick auf die schläfrige Katze, die bloß ein Auge öffnet und ihn kurz ansieht.
»Miau«, sagt Redzepi leise. Er zielt auf den Nacken des Tieres. Und sticht zu.
10
Nach einer traumlosen Nacht wacht Henning früh am Sonntagmorgen auf. Er geht in die Küche und setzt einen Kaffee auf. Danach stellt er sich unter die Dusche, während er darüber nachdenkt, was er am Abend zuvor über Tore Pulli herausgefunden hat.
Pullis Eltern sind wenige Tage nach seinem elften Geburtstag bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Danach haben seine Großeltern – Margit Marie und Sverre Lorents – versucht, dem jungen Tore Jørn ein gutes Leben zu ermöglichen. Aber da war der Junge bereits auf der schiefen Bahn. Als jüngstes Tagger-Mitglied musste er ständig beweisen, dass er seinen Platz verdiente. Bereits in jungen Jahren war er an diversen Einbrüchen beteiligt, begann, Hasch zu rauchen, provozierte gern und ging keiner Prügelei aus dem Weg. Er fuhr schon lange Moped, bevor er den Führerschein hatte. Der Weg ins MC -Milieu war kurz. Und von da an begann er ernsthaft mit dem Krafttraining.
Eines Abends, Pulli und seine MC -Kumpel hatten ordentlich getankt, kam Fred Are Melby – ein höchst respektabler Geldeintreiber – zu Pulli und begann ein Gespräch mit ihm. Pulli, der damals vielleicht achtzehn oder neunzehn Jahre alt war, war nicht sonderlich interessiert, aber im nächsten Augenblick traf ihn ein Faustschlag direkt an der Schläfe, sodass er zu Boden ging wie ein gefällter Baum. Pulli war rasch wieder auf den Beinen, verdrosch Melby nach Strich und Faden und brach ihm mit einem blitzschnellen Ellbogenschlag den Kiefer.
In den Tagen nach Melbys Entlassung aus dem Krankenhaus wartete Pulli auf die Racheaktion. Doch sie kam nicht. Stattdessen machte ihm ausgerechnet Melby ein Angebot. Er wollte Pulli alles über die Branche beibringen. Damit waren die Weichen gestellt. Melby legte ihm ans Herz, seinen effektiven Ellbogenschlag zu perfektionieren, wodurch seine Signatur, sein Markenzeichen entstand. Später erfuhr Pulli, dass die Provokation an jenem Tag nichts anderes als eine Art Aufnahmeprüfung gewesen war.
Sechs Jahre lang arbeitete Pulli als Eintreiber. Finanzdienstleister und Handwerker wussten, dass sie sich auf ihn verlassen konnten, und nachdem ihm erst einmal sein spezieller Ruf vorauseilte, brauchte er gar nicht mehr handgreiflich zu werden, um die Wünsche seiner Kunden zu erfüllen. Die Tatsache, dass er mit der Angelegenheit betraut war, reichte meist völlig aus, damit Scheine auf den Tisch geblättert wurden . Aber obgleich Pulli seinen Körper als Tempel betrachtete und nie einen Tropfen Alkohol trank, war ihm klar, dass es nicht ausreichte, stark zu sein. Sehr früh lernte er, dass Ausstrahlung das A und O war und ihn erst die Kombination aus Stärke und sichtbarer Erfahrung unschlagbar machten. Darum las er alles, was ihm an Fachliteratur in die Hände kam, über Waffen und Kampfstrategien, aber auch Biografien berühmter
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