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Vergiftet

Vergiftet

Titel: Vergiftet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Enger
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nickt und lächelt stolz, während er sein Ei köpft.
    »Und nicht nur Rehe. Kühe und Schafe auch.«
    »Und Windmühlen«, fügt Elisabeth hinzu.
    Thorleif grinst und streut etwas Salz auf den skalpierten Eierschädel. Julie trinkt ein paar Schlucke Saft. Der Rest der Familie versorgt sich mit Brötchen, Butter und Aufschnitt.
    »So«, beginnt Thorleif. »Und was machen wir heute? Habt ihr Vorschläge?«
    »Können wir ins Kino gehen?«, fragt Pål.
    »Ich will baden«, kontert Julie.
    »Das haben wir den ganzen Sommer gemacht. Können wir nicht mal ins Kino? Das ist soooo lange her. Bitte!«
    »Kino ist teuer«, sagt Elisabeth. »Zumindest wenn wir alle zusammen gehen wollen.«
    »Mama hat recht«, sagt Thorleif. »Wozu hättest du denn Lust, Mama ?«
    »In Bogstad ist Tag der offenen Tür, habe ich in der Zeitung gesehen. Vielleicht …«
    »O ja«, rufen die Kinder im Chor. »Da wollen wir hin! Bitte! Fahren wir? Fahren wir?«
    Elisabeth sieht die Kinder an, ehe sie Thorleifs Blick sucht.
    »Du glaubst also, das wäre die billigere Alternative zu Kino?« Er grinst.
    »Nein. Aber bei so schönem Wetter können wir doch nicht den ganzen Tag drinnen hocken.«
    »Wir wollen zum Tag der offenen Tür, Papa. Bitte, bitte. Bitteeee!«
    Thorleif sieht seine Kinder nacheinander an. »Okay«, sagt er.
    Julie und Pål hüpfen jubelnd auf ihren Stühlen auf und ab.
    »Aber zuerst wird gefrühstückt. Mindestens ein Brötchen, jeder. Abgemacht?«
    »Ja, Papa!«
    Thorleif beißt in sein Brötchen, es knirscht zwischen seinen Zähnen, während er Elisabeth und dann die Kinder ansieht. Ein rundherum stimmiger Sonntagmorgen. Was will man mehr?
    12
    Ullevål Hageby liegt im Stadtteil Nordre Aker und wurde unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg als Arbeiterwohnviertel angelegt. Die Arbeiter sollten raus aus ihren Wohnkasernen und rein in Häuser mit eigenen Gemüsebeeten und mehr Platz. Aber es dauerte nicht lange, bis die wohlhabenderen Menschen die Idylle für sich entdeckten. Seitdem liegt das Preisniveau in schwindelerregender Höhe.
    Hübsch, denkt Henning, als das Taxi auf dem John-Colletts-Platz hält. Es verheißt einen gewissen Status, in dieser Gegend zu wohnen, obgleich er nicht sicher ist, ob das Tore Pullis und Veronica Nansens Motiv war, als sie sich hier eingekauft haben. Gepflegte Häuser, Kletterpflanzen an den Fassaden, aufwendige Gärten und einladende Cafés in der näheren Umgebung.
    Es ist nicht schwer, das Backsteingebäude zu lokalisieren, das Veronica Nansen als Wohnstatt gewählt hat, der Gefängnisstrafe ihres Ehemanns zum Trotz. Vielleicht will sie einfach an gemeinsam Gehabtem festhalten.
    Henning klingelt und wird sofort eingelassen. Er steigt in den dritten Stock hinauf, wo eine Tür offen steht, und tritt in einen Flur, in dem blitzsaubere Spiegel große Schränke hinter sich verbergen. Weiter hinten funkelt ein Kronleuchter an der Decke, obwohl die Birnen ausgeschaltet sind.
    Veronica Nansen tritt in grauer, luftiger Jogginghose und rosa Top mit grauer dünner Trainingsjacke darüber in sein Blickfeld. Sie trägt eine rosa Schirmmütze, aus der hinten ein blonder Pferdeschwanz hängt.
    »Sie haben den Weg gefunden«, sagt sie und lächelt kurz.
    »Ja …« Henning schnauft und erwidert das Lächeln. Die Narben spannen. Er sieht, dass sie ihn anstarrt, als sie sich die Hand reichen. Ihre Hand fühlt sich weich an.
    »Kaffee?«, fragt sie.
    »Ja, gerne«, antwortet Henning und folgt ihr in die Küche. Grauer, warmer Schiefer auf dem Boden, integrierter Weinschrank, Wärmefach für Teller, Dampfofen, eine riesige Espressomaschine und zwei Backöfen in gebürstetem Stahl, einer davon extrabreit. Allein die Kücheninsel in der Mitte des Raums ist größer als Hennings Schlafzimmer.
    »Setzen wir uns hierher«, sagt Veronica Nansen mit einer einladenden Geste auf zwei schmale, hohe Barhocker mit silberglänzenden Beinen und knallgelben Sitzen. »Im Wohnzimmer ist es schrecklich unaufgeräumt.«
    Henning, der sich nie recht wohlfühlt in teurer Umgebung, klettert auf den Stuhl und versucht, eine bequeme Sitzposition zu finden. Linkisch stützt er sich mit den Ellbogen auf der Tischplatte ab, wo eine Schale mit verführerisch buntem Obst steht.
    »Schönes Haus«, sagt er. »Oder – schöne Wohnung.«
    »Danke.«
    Ihre Stimme lässt jeden Enthusiasmus vermissen. Wahrscheinlich ist sie es gewohnt, Komplimente zu bekommen, denkt Henning und betrachtet sie, als sie die Kaffeemaschine anschaltet und Tassen aus

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