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Vergiftet

Vergiftet

Titel: Vergiftet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Enger
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Derksen?«
    »Ja«, antwortet van Derksen uninteressiert. Die Stimme ist heller, als Henning erwartet hat, fast zaghaft.
    »Entschuldigen Sie die Störung, noch dazu an einem Sonntag, aber ich schreibe gerade einen Artikel über Tore Pulli. Wenn ich recht informiert bin, kennen Sie ihn gut?«
    Stille.
    »Ich habe nichts zu Tore zu sagen.«
    »Sie müssen auch gar nichts zu Tore sagen«, beeilt Henning sich nachzuschieben, um zu verhindern, dass van Derksen auflegt. »Ich bin mehr an den eigentlichen Geschehnissen interessiert, also daran, was passiert ist. Ich habe das Gefühl, dass Tore unschuldig verurteilt wurde«, fährt Henning fort.
    Es vergehen ein paar Sekunden.
    »Wie kommen Sie denn darauf?«
    Henning wartet einen Augenblick mit seiner Antwort.
    »Weil es in diesem Fall eine ganze Reihe von Unstimmigkeiten gibt. So wurde zum Beispiel die Tatwaffe nie gefunden. Und die Tatsache, dass Tore, wenn er sich schon entschließt, jemanden umzubringen, wohl kaum seine Visitenkarte am Tatort zurücklassen würde.«
    Erneut Stille.
    »Worauf spielen Sie an?«
    »Der Pulli-Bruch«, erklärt Henning und spürt eine bekannte Spannung in seinem Körper aufsteigen. »Der Kieferbruch. Ich denke mir, dass jemand mit ausreichend Kraft in den Fäusten es so aussehen lassen wollte , als hätte Tore Jocke umgebracht.«
    Henning lässt van Derksen Zeit, die Mitteilung zu verdauen. Es bleibt am anderen Ende der Leitung sehr lange still. »Sind Sie noch dran?«, fragt er irgendwann.
    »Da müssen Sie jemand anderes fragen«, sagt van Derksen im nächsten Augenblick.
    Und damit ist die Verbindung tot.
    Henning starrt den Telefonhörer an, als könnte ihm dieser Auskunft erteilen, wieso van Derksen plötzlich so abweisend ist. Vielleicht ist er nervös geworden, denkt Henning. Oder er will schlicht und einfach nicht mit Journalisten reden.
    Henning versucht zu ordnen, was er im Laufe des Tages in Erfahrung gebracht hat. Woher wusste Pulli, dass Henning wieder angefangen hat zu arbeiten? Die Inhaftierten haben doch keinen Internetzugang? Ist Pulli informiert worden? Von wem? Veronica Nansen und Geir Grønningen hatten ganz offensichtlich noch nie von ihm gehört.
    Henning schickt seinen und Tore Pullis Namen durch die Suchmaschine, bekommt aber nur Treffer zu Artikeln, die er vor etlichen Jahren geschrieben hat. Er verzieht das Gesicht. Irgendwas stimmt hier nicht, denkt er. Er ist nicht so bekannt, dass ein Inhaftierter, mit dem er noch nie gesprochen hat, Kontakt zu ihm aufnimmt und ausgerechnet ihn um Hilfe bittet. Es gibt genügend private Ermittler, die so einen Fall mit Kusshand übernehmen würden, und Pulli hat genügend Geld, sich die besten zu leisten.
    Henning schreibt »Privatermittler« in Kombination mit Pullis Namen ins Suchfeld, aber auch das ergibt keine relevanten Treffer.
    Ihm fallen nur zwei Gründe ein, warum offenbar niemand Informationen liefern will, die Pulli entlasten könnten, selbst wenn es dafür eine Million Kronen gibt. Entweder ist der Täter so abgebrüht und clever, dass noch nicht einmal seine eigenen Leute Verdacht geschöpft haben, oder Tore Pulli ist schlicht und einfach schuldig und spielt nur Theater.
    Henning schmiert sich ein Knäckebrot. Wandert im Wohnzimmer auf und ab. Sein Blick bleibt an dem dunkelbraunen Klavier hängen, das seit Langem geschlossen ist. Er will nicht sehen, was sich darunter verbirgt. Dann ist plötzlich Veronica Nansens Stimme in seinem Kopf und treibt ihn an, einen Schritt auf das Instrument zuzugehen. Er bleibt stehen. Macht noch einen Schritt, bis er den Klavierhocker erreicht hat. Er setzt sich und sieht vor seinem inneren Auge die im Dunkel liegenden Tasten, weiß, schwarz, lockend.
    Langsam hebt er die Klappe hoch. Beim Anblick der Tasten zieht sich sein Magen zusammen. Lautlos lehnt er die Klappe gegen den Klavierkorpus, lässt den Blick von links nach rechts schweifen und erinnert sich an Zeiten, als seine Finger einfach drauflosliefen, sich ihren Weg suchten, auf vertrauten Pfaden die gewohnten Bewegungen und Schritte so lange wiederholend, bis sie ihren Weg im Schlaf kannten. Er liebte es, wenn der Klang die Wände färbte und die Töne und ihre Resonanz Parallelwelten eröffneten, sobald er die Augen schloss.
    Henning senkt die Finger auf G-Dur Major Seven, einen seiner Lieblingsakkorde, dessen Namen er nicht kannte, bis er ihn vor vielen Jahren auf einem digitalen Klavier gespielt hat, das an einen Computer angeschlossen war. Er hatte sich die Namen der

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