Vergiftet
Alter Schwede. Allzeit bereit, Frau Blom. Das geht mir allmählich auf den Zeiger.«
Henning mustert Iver einen Augenblick lang, bevor er antwortet: »Das ist eine Art Füllsel, einfach so eine Floskel.«
»Das weiß ich auch. Deswegen weiß ich aber trotzdem nicht, wer Frau Blom ist.«
Wieder senkt sich Stille über die Tische.
»Das ist ein Zitat aus Karussell «, sagt Henning zögernd.
»Hä?«
»Eine Komödie von Alex Brinchmann. Die Frau-Blom-Sätze standen nicht im Skript, der Schauspieler Per Aabel hat sie bei Proben improvisiert. Seitdem gibt es sie.«
Iver nimmt einen Schluck Kaffee. »Das ist alles?«, fragt er und dreht den Kaffeebecher hin und her.
»Kommt ganz darauf an, wie du es siehst. Wollen wir uns die anderen Ausdrücke auch vornehmen?«
Iver sieht Henning überrascht an, bis ihm aufgeht, dass Henning es ernst meint. Iver blickt auf die Uhr. »Keine Zeit«, sagt er und steht auf. »Der Adler erwartet uns.«
19
Das TV 2-Gebäude mitten auf der Karl Johans gate zu betreten, hat Thorleif Brenden schon immer das Gefühl vermittelt, Teil von etwas Großem zu sein. Dabei hat das nichts mit der Größe des Gebäudes zu tun, sondern eher mit der Tatsache, dass hier so viele Menschen an ein und demselben Ort in harter Konkurrenz mit anderen Fernsehsendern ein und dasselbe Ziel verfolgen. Es erfüllt ihn mit Stolz, der Empfangsdame zuzunicken, die Ausweiskarte routiniert durch den Scanner zu ziehen und in den Fahrstuhl zu treten, Moderatoren oder Reporter zu grüßen und all die anderen, die ihren täglichen Beitrag zur Unterhaltung oder Information des norwegischen Volkes leisten.
In seinen ersten Arbeitswochen hat Thorleif immer und überall nach Prominenten Ausschau gehalten, von denen es in diesem Haus einige gibt. Moderatoren und Models, Journalisten und Nachrichtensprecher. Alle sind sie da. Und alle sind sie ganz gewöhnliche Menschen.
Thorleifs Karriere bei TV 2 begann im Jahr 2000, nach fast fünf Jahren Film- und Fernsehstudium in den USA mit einem Abschluss als Bachelor und einem begonnenen Master in Dokumentarfilm, den er nie beendet hat. Er wollte lieber praktisch arbeiten, als theoretisch darüber zu schreiben, auch wenn er schon immer gern geschrieben hat. Für jemanden mit seinem Hintergrund war es relativ einfach, einen Fuß in die Tür von TV 2 zu bekommen. An Freelancern mit seiner Kompetenz gab es immer Bedarf, und anfangs arbeitete er dreißig Tage im Monat, gefühlt sogar im Februar. Irgendwann musste er die Notbremse ziehen, dieses Pensum war auf Dauer nicht durchzuhalten. Erst recht nicht, nachdem er Elisabeth kennenlernte und schließlich Kinder unterwegs waren.
2002 bekam er eine Vertretungsstelle, gefolgt von einer festen Anstellung im Jahr danach. Seitdem arbeitet er für alle möglichen Abteilungen im Haus, um nicht jeden Tag das Gleiche machen zu müssen. Am häufigsten ist er aber für die Nachrichtenredaktion tätig. Er war in Afghanistan, im Irak, in Tschetschenien, hat in mehreren afrikanischen Ländern gefilmt – an Orten, wo Geschichte geschrieben wurde. Es gab immer etwas zu berichten, ein paarmal sogar unter Einsatz seines Lebens. Besonders übel war die Tour nach Kenia 2008.
Es war die Zeit unmittelbar nach der Wahl. Mehrere hundert Kikuyu hatten Zuflucht in einer Kirche in der Stadt Eldoret gesucht, weil niemand mit Bestimmtheit sagen konnte, wer gewonnen hatte. Ein rasender Mob steckte die Kirche an, in der zwischen fünfzig und hundert Menschen ums Leben kamen, viele von ihnen Kinder. Wer es schaffte, den Flammen zu entkommen, wurde von Macheten niedergemetzelt.
Thorleif hatte an diesem Tag Dienst, und die Nachrichtenleitung beschloss, dass TV 2 wegen der Parallelität zu Ruanda vor Ort sein sollte. Zusammen mit dem raubeinigen Kriegsreporter Frode Greverud packte Thorleif sein Equipment zusammen und machte sich auf den Weg. Nach der Landung in Nairobi fuhren sie am nächsten Tag weiter nach Eldoret. Sie reisten tagsüber, weil man nie wissen konnte, wer oder was einem in der Dunkelheit auflauerte.
Sie hatten vorab mit der lokalen Bevölkerung und dem Roten Kreuz gesprochen, um herauszubekommen, welche Strecken einigermaßen sicher waren. Unterwegs stießen sie auf einen Bus mit Flüchtlingen. Thorleif und Greverud hielten an und beschlossen spontan, einen Beitrag über diese Menschen zu bringen, was ihre Weiterfahrt um eine Dreiviertelstunde verzögerte, genug, um Eldoret nicht mehr vor Einbruch der Dunkelheit zu erreichen. Drei Kilometer vor der
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