Vergiftet
über seine Schwester und ihren Mann. » Wir wünschen uns so sehr ein Kind!«
»Hast du auch Zigaretten gekauft?«, fragt sie und trinkt gierig.
»Nein, davon hast du nichts gesagt …«
»Du hast keine Zigaretten gekauft?«
Henning ärgert sich über den vorwurfsvollen Ton in der Stimme, der gleich darauf von einem Husten abgelöst wird, der Löcher in ihre Lunge zu reißen droht. Er legt ihr eine Hand auf den Rücken und will ihr mit vorsichtigem Klopfen helfen, aber sie dreht sich weg und zeigt auf das mobile Beatmungsgerät, das neben der Anrichte an der Wand steht. Ihr Husten nimmt keine Ende, bis sie sich fast erbrechen muss. Henning schiebt die Maschine neben sie und befestigt mit einem blauen Gummi die Maske über ihrer Nase und ihrem Mund, ehe er die Maschine einschaltet. Kurz darauf atmet sie wieder ruhiger. Nur ein leichtes Stocken beim Luftholen erinnert noch an den Husten. Ein paar Minuten lang bleibt sie so sitzen und tut nichts anderes, als zu atmen.
Henning wartet, bis sie die Schultern nicht mehr hochzieht, schlüpft nach draußen und zieht die Tür leise hinter sich zu. Selbst durch die geschlossene Tür hört er das Brummen der Maschine, die sie am Leben hält, und er ertappt sich bei der Frage, ob er trauern wird, wenn sie stirbt.
41
Die Bettdecke ist mit einem Mal quälend warm – obwohl er noch Minuten zuvor eine Gänsehaut gehabt hat. Im Wohnzimmer fährt Pål, gefolgt von Endre, einem seiner neuen Klassenkameraden, über den Boden.
Thorleif hat sich, gleich als er wieder zu Hause war, unter dem Vorwand schrecklicher Übelkeit ins Bett verkrochen. Er könnte keinem von ihnen ins Gesicht schauen, ohne vor Angst zusammenzubrechen. Sie würden ihn für verrückt erklären, was – wenn er ehrlich sein sollte – gar nicht so weit von der Realität entfernt war. Was zum Henker soll er jetzt tun? Sie kontrollieren alles, was er macht! Der Typ mit dem Pferdeschwanz hat sogar behauptet, einen Draht zur Polizei zu haben. Kann ihm in dieser Situation überhaupt jemand helfen? Irgendwie muss es ihm doch gelingen, Alarm zu schlagen?
Plötzlich kommt ihm ein Gedanke. Wann hat die Alarmanlage aufgehört zu funktionieren? Am Sonntag? Die Tage verschwimmen in seiner Erinnerung, aber er nimmt an, dass jemand in ihrer Wohnung war, als sie am Bogstad Gård waren.
Ein dumpfer Knall an der Wand lässt ihn zusammenzucken. Aus dem Wohnzimmer tönt dröhnendes Lachen. Påls Lachen hat ihn immer zum Lächeln gebracht. Schritte entfernen sich und kommen wieder zurück. Dann geht die Tür des Schlafzimmers auf. Thorleif zuckt zusammen. Julie bleibt auf der Türschwelle stehen. Allein der Anblick ihrer vorgeschobenen Unterlippe reicht, um ihm den Atem zu nehmen.
»Was ist los, Mäuschen?«
»Pål sagt, dass ich nicht malen kann.«
»Das hat er gesagt?«, fragt Thorleif mit milder Stimme. »Hör einfach nicht auf ihn, Liebes. Pål spielt sich bloß auf, weil Endre da ist. Du kannst supergut malen. Mama hat mir gesagt, dass du jetzt auch schon Herzchen malen kannst?«
Über Julies Miene zieht ein strahlendes Lächeln. »Willst du sehen?«
»Klar will ich das.«
Kleine Füße huschen über das Parkett. Eine halbe Minute später kommt sie mit einem Blatt in der Hand zurück ins Schlafzimmer. »Hier, Papa.« Stolz zeigt sie ihm ihr Herz. Gemalt mit einem dicken roten Stift.
»Mein Gott«, sagt er begeistert, »das ist ja wunderschön!«
»Soll ich auch eins für dich malen?«
»Würdest du das tun?«
Wieder lächelt sie breit und rennt zurück ins Wohnzimmer. Thorleif richtet sich etwas auf und sieht sich das Herz an. Es sieht ein bisschen aus wie ein Po, aber es ist trotzdem ein Herz, und zwar das schönste, das er je gesehen hat.
Ihm kommt eine Idee. »Julie?«, ruft er.
»Jaaa?«
»Bring deine Farbstifte mit hierher. Dann kann ich zusehen, wenn du malst.«
»Soll ich, Papa?«
»Ja, klar. Vielleicht kann ich dann ja auch selbst ein bisschen malen.«
»Jaaa!«
Gleich kommt sie wieder in den Raum gestürzt. Doch dann hört Thorleif, wie ihr der Kasten aus der Hand rutscht und die Farbstifte übers Parkett kullern.
»Oje«, sagt sie.
»Macht doch nichts, Kleine«, ruft er. »Heb sie einfach wieder auf.«
»Hilfst du mir?«
Thorleif seufzt, wohl wissend, dass die Stifte auf dem Boden liegen bleiben, wenn er nicht aufsteht und sie selbst aufhebt, mit Ausnahme der ein oder zwei Stifte, die sie zum Malen braucht. Also steht er auf und spürt, wie schwer sein Körper ist. Aber seine Idee baut ihn
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